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Die Menschen sehen Strom nicht als Produkt“

■ Ralf Schmidt von der Verbraucherinitiative zum Verbleib der Berliner beim Bewag-Strom

taz: Seit der Öffnung des Strommarktes ringen die unterschiedlichsten Anbieter um Kunden. In Berlin hat die Bewag fast alle Kunden behalten. Die Begründung eines Sprechers lautet, dass die Berliner mit der Bewag zufrieden seien. Kann man sich das so so einfach machen?

Ralf Schmidt: Die Bewag hat clever auf den Markt reagiert. Sie hat ihren Kunden schnell ein transparentes und nachvollziehbares Angebot mit drei verschiedenen Produkten gemacht. Zudem hat sie ein breites Netz zusätzlicher Dienstleistungen. Die Kunden kennen die Bewag. Der größte Teil hat sich nach unserer Erfahrung nicht mit anderen Angeboten auseinandergesetzt. Bundesweit haben sich bisher nur 100.000 von über 30 Millionen Haushalten bewußt für einen anderen Anbieter entschieden.

Die Kunden reagieren auf die unterschiedlichen Angebote ja offensichtlich nicht so, wie die Stromanbieter es erwartet haben.

Strom ist ein sogenanntes „low interest product“. Die Kunden reagieren ganz zurückhaltend. Viele sind verwirrt. Strom war bisher etwas ganz Alltägliches. Strom sollte da sein und funktionieren. Die Menschen sehen Strom noch nicht als Produkt und werden zudem abgeschreckt durch die aggressiven Feldzüge der Anbieter, stellen deren Seriosität in Frage. Viele, die uns anrufen, denken, dass bei ihnen für einige Tage der Strom ausfällt, wenn sie den Anbieter wechseln.

Warum lassen sich so wenige vom billigen Atomstrom locken?

Der Preis spielt eine kleine Rolle. Das haben die Stromanbieter total überschätzt. Wichtiger ist für den Kunden das Gefühl, einen seriösen, zuverlässigen Anbieter zu haben, der sich um einen kümmert, bei jeder Störung zu erreichen ist. Die Kunden empfinden sich als Teil einer Versorgergemeinschaft. Sie wollen nur einmal einen Vertrag unterschreiben und dann auf Lebenszeit ihren Strom bekommen und sich nicht jede Woche nach neuen Angeboten umschauen müssen.

95 Prozent der Bewag-Kunden sind bei „Berlin Klassik“, dem herkömmlichen Angebot geblieben. Gerechnet hatte die Bewag mit 60 Prozent. Den teuren Ökostrom haben nur 0,25 Prozent gewählt. Haben sich die Kunden alle bewußt entschieden?

Das würde ja völlig entgegen dem Trend laufen. Die Menschen durchschauen noch nicht, dass beim Strom die Qualität dessen Herkunft ausmacht. Das Licht geht eben auch so an. Die meisten werden das Anschreiben der Bewag einfach zu Hause liegenlassen haben, ohne es genau durchzulesen. Wer nicht antwortet, bekommt ja automatisch den „Berlin Klassik“ Strom. Vier Prozent der Bewag-Kunden haben sich für den billigeren Atomstrom entschieden. Das ist, wenn man den bundesweiten Trend betrachtet, schon sehr viel. Ich selbst habe zum Beispiel nicht auf das Anschreiben der Bewag reagiert, weil ich abwarten will. Der Markt ist noch total offen. Wir raten den Leuten zu Ökostrom. Was sie nicht wissen: langfristig ist der das bessere Produkt. Es lohnt sich, mehr Geld zu investieren. Würden sich alle für billigen Atomstrom entscheiden, hätte das aber fatale Auswirkungen für die Entwicklung neuer Technologien im Umwelt- und Klimaschutz.

Interview Karen Heinrichs

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