In Nigerias Ölgebiet droht der Bürgerkrieg

Nach Wochen eskalierender Gewalt in den Ölfördergebieten im Nigerdelta wird die Armee entsandt, um für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. Radikale Gruppen drohen, die Ölförderung unmöglich zu machen    ■ Von Dominic Johnson

London/Berlin (taz) – Nigerias Regierung hat am Wochenende die Armee losgeschickt, um im unruhigsten Teil des Ölfördergebiets „Recht und Ordnung“ wiederherzustellen. Die Soldaten sollen Milizen des Ijaw-Volkes besiegen, die im Bundesstaat Bayelsa besonders stark sind. Die Truppenentsendung gilt als Vorstufe eines Ausnahmezustands.

Nun droht Bürgerkrieg. Denn radikale Gegner der Ölförderung planen für den Fall eines Ausnahmezustands im Nigerdelta eine Eskalation ihres Kampfes. „Wir werden dann Widerstand leisten“, sagt Oronto Douglas, Führer des Nigerdelta-Dachverbandes Chikoko. „Wir werden die Nigerianer aufrufen, Obasanjo als Präsident abzulehnen. Wir werden unseren eigenen Ausnahmezustand ausrufen und die Leute dazu bringen, alle Ölförderanlagen zu besetzen.“

Einen Ausnahmezustand hatte die Regierung für heute angedroht, sollten die Behörden in Bayelsa nicht eine militante Gruppe verhaften, die zwölf Polizisten getötet hat. Nun hieß es, die zu diesem Zweck entsandten Polizisten seien „an illegalen Straßensperren von bewaffneten Elementen gewaltsam zurückgewiesen“ worden. Daher werde die Armee jetzt „die Verbrecher ausräuchern“.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sprach gestern von „wahllosen Angriffen“ auf die Zivilbevölkerung. Der Dachverband Chikoko meldete „massive Bombardierungen mit schwerer Artillerie“. Im Ort Odi in Bayelsa, wo die Polizistenmörder vermutet wurden, seien alle Häuser niedergebrannt und 200 Menschen getötet worden.

Bayelsa ist das Armenhaus in einer Gegend, die zwar Nigerias Reichtum produziert, aber im Elend lebt. Kaum etwas von den Milliarden, die Nigeria aus dem im Nigerdelta geförderten Öl erwirtschaftet, fließt in die Fördergebiete zurück; stattdessen herrscht eine faktische militärische Besatzung, und elementare Umweltstandards werden nicht eingehalten. Auf einer Konferenz in London am Wochenende wurden deprimierende Zahlen präsentiert: Die Säuglingssterblichkeit liege bei über 50 Prozent, die Zahl missgebildeter Babys infolge von Umweltschäden sei die höchste im Land, die meisten Todesfälle seien krebsbedingt.

Seit dem Aufstand des Ogoni-Volkes im Osten des Nigerdeltas 1993 bis 1995 haben sich Revolten der einheimischen Bevölkerungen ausgebreitet. Besetzungen von Ölförderanlagen und Entführungen von Mitarbeitern der Ölkonzerne sind Alltag geworden. Der Ölkonzern Shell musste Anfang November zum sechsten Mal in drei Monaten seine Pumpstationen nach bewaffneten Angriffen schließen.

Dazu kommen immer öfter gewaltsam ausgetragene Streitereien zwischen den Ethnien des Nigerdeltas, die bereits tausende Tote gefordert haben. Zuletzt starben letzte Woche 50 Menschen beim Streit zweier Ethnien um ein Shell-Trinkwasserprojekt.

Unter der größten Ethnie des Deltas, dem Ijaw-Volk, sind gut organisierte Jugendmilizen entstanden. Die Ijaws waren Anfang 1999 bereits Opfer eines blutigen Feldzugs der Armee, nachdem Ijaw-Politiker im Dezember in der so genannten Kaiama Declaration einen grundsätzlichen Forderungskatalog definiert hatten. Die Kämpfe begünstigten die Bildung bewaffneter Ijaw-Gruppen, die nun die Führungsrolle beanspruchen. Annie Brisibe, Generalsekretärin des Ijaw-Dachverbandes Ijaw Youth Congress, erklärt: „Die Ijaws trauten sich, das Militär zu konfrontieren. Danach schlossen sich die anderen an.“

Das Ergebnis ist eine Radikalisierung. Nach den Ijaws haben auch andere Ethnien des Nigerdeltas Erklärungen ähnlich der Kaiama Declaration abgegeben. Gemeinsames Muster: Die lokalen Bevölkerungen sollen selbst über die Nutzung ihrer Ressourcen entscheiden. Anfang November gab es die erste „Niger Delta Conference“ der verschiedenen Gruppen. Sie endete am 4. November mit einer Resolution, in der Nigerias neue zivile Verfassung in ihrer Gesamtheit abgelehnt wird.

Nigerias seit Mai regierender ziviler Präsident Olusegun Obasanjo scheint nun die militärische Lösung zu bevorzugen. Die Armee soll jetzt Soldaten, die in Liberia und Sierra Leone gekämpft haben, im Nigerdelta einsetzen. Sie sind skrupellos, brutalisiert und oft HIV-positiv. „Die Regierung“, behauptet Philip Ilenbarenemen, Vorsitzender der „Solidaritätsbewegungen der südlichen Minderheiten Nigerias“, „möchte uns alle auslöschen.“