Nacht der grauen Schläfen

15 Jahre im Nachtleben: Die Pet Shop Boys führen ihre Jahrtausend-Hits auf - live und im Internet  ■ Von Felix Bayer

Trash-Compilations stapeln sich oft in den Eingangsbereichen der Kaufhäuser. Neuerdings heißen sie auch mal „Jahrtausendhits“: Drei CDs im Billigschuber, die beispielsweise den recht überschaubaren Teil des Jahrtausends Revue passieren lassen, in dem sich die Menschheit der Produktion einer Musikform namens Disco verschrieben hat. Auf „Jahrtausendhits: Disco“ ist auch „West End Girls“ von den Pet Shop Boys zu hören. Und da gehören die Pet Shop Boys auch drauf! Ebenso wie auf die daneben stehenden „Jahrtausendhits: Pop“ und die diversen „Best of Eighties“ - und „Best of Nineties“- Kopplungen.

Während „West End Girls“ heute auf 80er-Parties den Floor füllt, steht die aktuelle Single des erfolgreichsten Popduos der letzten beiden Jahrzehnte, „New York City Boy“, auf Platz 1 der Billboard-Club-Charts – die angeblich meistgespielte Single in US-Clubs also. Und 15 Jahre nachdem „West End Girls“ mit mäßigem Erfolg erstmals veröffentlicht wurde, sagt Sänger Neil Tennant über „New York City Boy“, es sei nur eine neue Version des dramatischen Themas von „West End Girls“. Eines der existenziellen Themen des Pop behandelt der Song zudem: Der soziale Außenseiter findet im Pop oder in der Disco seinen Platz, ob nun die East End Boys oder der Vorstadtjunge aus dem Video, der sich in die Disco als quasi-utopischen Ort träumt. Wobei darin zugleich die konkreten Discos im New York der Siebziger als Verwirklichungsort für Hedonisten und Homosexuelle zu erkennen sind. Dazu spielt der feiste Village People-Beat von Koproduzent David Morales.

Der New Yorker DJ steht für die Weiterführung des House-Strangs in der Tradition der Pet Shop Boys, sich Sounds vom Dancefloor zu entleihen. Rollo von der englischen Band Faithless hingegen updatet auf den von ihm mitproduzierten Songs die früheren Eurodisco-Bezüge, indem er die trancigen Sounds liefert, zu denen der erklärte Hedonist Chris Lowe im letzten Sommer auf Ibiza tanzte. Das ist also die naheliegende Bedeutung des Albumtitels Nightlife.

Nightlife bedeutet aber auch das Leben in der Nacht, wenn die Konflikte und die Liebe zwischen Menschen ihren Ausdruck finden: Ob das nun die Schlaflosigkeit eines Frischverliebten in „Radiophonic“ oder die Treuezweifel des zu Hause Wartenden in „For Your Own Good“ ist – es war schon immer die große Stärke von Neil Tennant als Texter, in wenigen Worten Beziehungsdramen zu illustrieren. Darin knüpft das großartige „You Only Tell Me You Love Me When You're Drunk“ an Klassiker wie „Rent“ oder „So Hard“ an. Die Galadisziplin des Beziehungsdramas im Popsong ist aber das Duett: „In Denial“ ist der Dialog zwischen einem schwulen Vater – einem Gay Dad also – und seiner Tochter, gesungen von Kylie Minogue. Ein Text, den Tennant vermutlich vor seinem öffentlichen Outing vor fünf Jahren nicht auf einem Pet Shop Boys-Album platziert hätte, sondern ihn im Kontext des Musicals belassen hätte, für den er ursprünglich geschrieben war. Ende 2000 soll es übrigens auf die Bühne kommen.

Doch so bewegend „In Denial“ ist, Kylie Minogue reicht natürlich nicht an die in diesem Jahr verstorbene Dusty Springfield heran. Deren Duett mit Tennant, „What Have I Done To Deserve This“ von 1987, steht im Zentrum der Liveshow, mit der die Pet Shop Boys erstmals seit 1991 nach Deutschland kommen. Sie ist diesmal weniger theatralisch – das wird fürs Musical aufgespart – aber natürlich himmelweit von einer Rock'n'Roll-Show entfernt: Der einzige Musiker auf der Bühne ist Chris Lowe; vier Männer singen und tanzen, die Soulsängerin Sylvia Mason-Jones darf die Showtreppe hinabsteigen und nach der Pause verzichtet Neil Tennant auch auf die blöde Designerpunk-Perücke und zeigt die ihm so gut stehenden grauen Schläfen.

Wer für das ausverkaufte Konzert im CCH keine Karte mehr bekommen hat und nicht bis zum Zusatzkonzert im Februar warten möchte, kann sich die Show im Internet ansehen (http://www.hob.com/live/concerts/991023petshopboys) und wird vielleicht feststellen: Ja, das sind schon Jahrtausendhits!

Sa, 27. November, 20 Uhr, CCH1