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Zensur? Macht doch nix!

■  Nach Polizeiaktion ist die stadtbekannte Videothek Videodrom in ihrer Existenz bedroht. Tausend Kassetten wurden beschlagnahmt. „Nichts Besonderes“, finden die Behörden

Morgens um halb zehn klopften die Polizisten ihn rüde aus dem Bett: Karsten Rodemann, Mitinhaber des Videodroms – der wichtigsten Videothek Berlin. Wie in einem schlechten Film hielten ihm die Ordnungshüter einen Durchsuchungsbefehl vor die Nase.

Rodemann, auch bekannt unter dem Namen Graf Haufen, hatte sich noch nicht einmal angezogen, da sprangen die Beamten schon auf sein Bett und fingen an sein Comic-Regal zu durchforsten. Exemplare des Heftes „Strapazzin“ waren offenbar so spannend, dass sie mit auf die Wache genommen wurden: „beschlagnahmt“.

Eigentlich ging es nicht um Comic-Hefte. Einige Stunden nach der Hausdurchsuchung sitzt Rodemann mit seinen Videodrom-Kollegen im Café direkt gegenüber dem Laden in der Kreuzberger Mittenwalder Straße: Das Videodrom ist von der Staatsanwaltschaft geschlossen worden, die Tür versiegelt. Die Kunden geben ihre Kassetten nun erst mal im Café ab.

Seit zehn Jahren ist die Videothek, in der man die Geschichte der Independent-Filmszene von vorn bis hinten studieren kann, eine kulturelle Institution der Stadt und mindestens genauso wichtig wie das Schöneberger Kino Arsenal. Videodrom ist Anlaufstelle für Cineasten, Filmverrückte und Kritiker.

Seit Dienstag sind das Büro und der Kellerladen der engagierten Filmvertreiber geschlossen. Den ganzen Tag über haben Polizisten kistenweise Filme und Drucksachen aus dem Videodrom in einen Lkw verladen.

„Rund 1.000 Videos wurden beschlagnahmt“, sagt Rodemanns Kollegin, die Videodrom-Mitinhaberin Ines Ruf. Ruf musste morgens plötzlich die Polizisten in den Laden lassen. Neben den Kassetten nahm die Polizei die elf Computer der kleinen Firma mit. Auch für Rufs Wohnung hatten die Ermittler einen Durchsuchungsbefehl. So ganz nebenbei mokierten sich die Beamten darüber, dass die Wohnung ja wohl mindestens genauso dreckig sei wie das Videodrom selbst.

Die zuständige Staatsanwältin Twachtmann war gestern nicht zu erreichen. Die Pressestelle bestätigte den Vorgang, der im übrigen aber „nichts Besonderes sei“. Der Name des zuständigen Ermittlungsrichters werde – wie üblich – nicht genannt.

Man befinde sich in einem ganz normalen Ermittlungsverfahren „wegen Verbreitung gewaltverherrlichender Schriften“. Wer und ob überhaupt jemand Anzeige erstattet hat, ist unklar, ob Videos juristisch als „Schriften“ gelten, ebenfalls.

Ines Ruf ist über diese Art von staatsanwaltlicher „Normalität“ entsetzt. Vor sich hat sie einen Aktenordner mit handschriftlichen Listen der beschlagnahmten Dinge. Unter den hunderten von Kassetten sind viele Filme, die wochenlang unbeanstandet im Kino oder TV liefen: David Lynchs „Wild At Heart“ oder „Leon der Profi“. Auch Christoph Schlingensiefs „100 Jahre Hitler“ wird sich der erneuten Begutachtung durch die Staatsanwaltschaft aussetzen müssen.

Scheinbar planlos sackten die Ausleiher ohne Ausweis alles ein, was nur im Geringsten nach Porno oder Gewalt aussah. Kassetten mit nackten Brüsten (Peter Walkers Film „Cool it Carol“) oder zu großen Knarren auf dem Cover wanderten sofort in die mitgebrachten Kartons.

Wir verleihen keine indizierten Videos“, sagen die Betreiber. Sie sind entsetzt, dass ihnen innerhalb weniger Stunden die gesamte Geschäftsbasis entzogen wurde: Fünfzehn Leute würden bei einer längeren Schließung arbeitslos. Sie vermuten, dass dem international gerühmten Videodrom in einem scheinbar günstigen Moment das Wasser abgegraben werden soll.

Seit der Diskussion, ob nach einem Mord an einer bayerischen Lehrerin Filme erlaubt sind, in denen Lehrer ermordet werden sollen, scheint es auch in Berlin Interesse daran zu geben, der Zensur das Wort zu reden.

Obwohl in dem Film „Tötet Mrs. Tingel“ kein Mensch zu Schaden kommt, hat der Verleih Kinowelt sich dafür entschieden, den Streifen in „Rettet Mrs. Tingel“ umzubenennen.

Das war möglicherweise erst der harmlose Anfang einer Hysterie in Sachen „Gewalt und Kunst“. Bedeutet die Schließung des Videodroms, dass jetzt in Berlin ein neues Interesse an Zensur besteht? Da kann man nur viel Spaß beim Sichten der Filme wünschen.

Andreas Becker

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