In Fußballland

■ Christoph Biermann

Neulich habe ich in der Lobby des Golden Tulip Hotel in Geldrop gesessen und gewartet. Das Hotel liegt direkt neben der Autobahnabfahrt, fast könnte man meinen, es ist in die Abfahrt eingebaut, und strahlt einen leicht ostblockartigen Schick aus, was der Grund dafür gewesen sein mag, warum es vom Tschechischen Fußballverband als Aufenthaltsort für seine Nationalmannschaft vor dem Länderspiel gegen Holland ausgewählt wurde.

Auf der Suche nach der Blauen Mauritius des Fußball-Interviews: Jiri Nemec

Da saß ich also und wartete brav auf Jiri Nemec, den Kapitän des Nationalteams, den wir alle aus der Bundesliga kennen. Oder zu kennen glauben. Denn kein Spieler in der Bundesliga, im europäischen, ja vielleicht Weltfußball schweigt so beharrlich wie er. Es gibt keine Interviews mit ihm, keine Geschichten über ihn, der Mann redet einfach nicht mit Journalisten, mithin ist ein Nemec-Interview die Blaue Mauritius unserer Branche. Und ich Angeber wollte sie natürlich haben.

Geheimnisumwittert ist der 33-Jährige, der sieben Jahre lang bei der Dynamo-Mannschaft der Bierstadt Budweis spielte, dann für Dukla und Sparta Prag, bis er vor mehr als sechs Jahren nach Gelsenkirchen kam. Jiri hat eine Tochter (8), einen Sohn (3) und kein Handy. Er fährt ein Jeep-artiges Automobil mit großen Reifen, was nahelegt, dass Jiri gerne „Monstertrucks“ auf Eurosport schaut. In Wirklichkeit aber entspannt er sich am liebsten beim Spielen mit den Kindern. Völlig falsch sind die Gerüchte, dass er sich mit Holzschnitzarbeiten ablenkt oder Schiffsmodelle aus Streichhölzern baut. Obwohl man nur zu gerne glauben würde, dass Jiri, nachdem er mit dem unbeweglichen Gesicht eines professionellen Autoschiebers den Trainingsplatz verlassen hat, daheim wortlos im Hobbykeller verschwindet und dort schnitzt oder klebt, dass die Schwarte kracht.

Falls inzwischen der Eindruck aufkommen sollte, dass der verschlossene Tscheche ordentlich einen an der Waffel hat, muss dem entschieden widersprochen werden. Im Schalker Kreisel, was die „Offizielle Vereins- und Stadionzeitschrift des FC Gelsenkirchen-Schalke 04“ und zugleich das einzige Medium ist, mit dem Nemec redet, kann man durchaus Äußerungen finden, die auf überdurchschnittliche Geistesgegenwart schließen lassen. Auf die Frage, für welche Fernsehwerbung er eine gute Besetzung wäre, antwortet Nemec astrein schlagfertig: Toilettenpapier. Aus dem Inneren des Vereins wird glaubwürdig berichtet, dass Nemec sich nicht nur gut in der deutschen Sprache zu artikulieren wisse. Einmal im Jahr muss Nemec öffentlich auftreten und wie alle Schalker Profis die Weihnachtsfeier eines Fan-Clubs besuchen, wobei er angeblich stets einen guten Eindruck hinterlässt, weil er durchaus bemerkenswerte Ansichten hat. Nur welche mögen das sein?

Uns Journalisten wird er sie kaum mitteilen, denn im Sommer danach befragt, was er für das Bemerkenswerteste der vergangenen Saison gehalten hätte, antwortete Nemec: Journalisten. So war mir natürlich klar, dass der kleine Trick mit der Nationalmannschaft vom „Meister“, wie man ihn in Anlehnung an die Frisur von Guildo Horn zu nennen pflegt, durchschaut würde. Auch wenn er sich in den Kapitän der tschechischen Nationalelf verwandelt, bleibt für Jiri Nemec ein Journalist eben doch ein Journalist. Deshalb wollte mir Herr Kolar auch keine Hoffnungen machen. Als ich beim tschechischen Pressesprecher um das Gespräch nachsuchte, setzte er sein sorgenvollstes Sorgengesicht auf (und Herr Kolar schaut sowieso schon verdammt besorgt aus). Ich müsse nämlich wissen, dass Nemec auch mit den tschechischen Journalisten nicht reden würde.

Mir schien es mit Blick auf die Blaue Mauritius trotzdem einen Versuch wert, und so saß ich geduldig in der Lobby des Golden Tulip Hotel an der Autobahnabfahrt in Geldrop/NL und wartete auf das Ende des meisterlichen Mittagsschlafs. Zwei Stunden später schlurfte er achtlos an mir vorbei und schaute wie einer, der nie mit Journalisten sprechen wird. Ich habe dann ein nettes Gespräch mit Pavel Kuka geführt, der sympathisch ist und interessante Dinge zu erzählen weiß, aber eben doch nicht Jiri Nemec ist.