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Wenn Höllenhunde zum Gebet bellen

■ Aufrüttelnde Analysen im Braunschweiger Splatterorgan „X-Rated“

Seit einiger Zeit schon freut man sich in Braunschweig über ein splendides Stadtmagazin. Das nennt sich X-Rated und ist im deutschsprachigen Raum zur Zeit das maßgebliche „Organ“ für den Horror- resp. Gewaltporno-Film, jene beliebten und interessanten Sujets, die im bürgerlichen Feuilleton leider immer noch ein Schattendasein fristen. Der Macher dieser Hochglanzgazette heißt oder nennt sich doch zumindest Andreas Bethmann und führt im Brotberuf den Video-Verleih AB VIDEO-PRO – klingt nicht doll, aber Obacht! hinter diesem unscheinbaren Namen verbirgt sich Niedersachsens heißeste Adresse für Bückware jeglicher Couleur.

Bethmann, der Antichrist, der noch nie eine Kirche von innen gesehen hat, kennt die Szene wie kein zweiter. Er hat Bücher geschrieben (u.a. über den “König der Sexploitation“, Jess Franco, der auch dem Laien mit seinen „Mondo Cannibale“-Streifen noch in guter Erinnerung geblieben ist), er hat Director‘s-Cut-Versionen von Horrorklassikern „besorgt“, selbst Regie geführt bei semiprofessionellen, aber immer gut ausgeleuchteten Slasher-, Slacker- und Splatter-Movies – und wenn er zur Feder greift, spritzt Herzblut. Mit diesem Doyen des Horrors an der Spitze, der die „Freiwillige Selbstkontrolle“ für einen kaum wiedergutzumachenden Fehler hält, ist X-Rated mittlerweile zu einem Spartenblatt avanciert, zu dem es keine ernstzunehmende Alternative gibt.

Da lesen wir warmherzige Porträts über die künstlerisch oftmals stark angefeindeten Regisseure des Genres (im neuesten Heft etwa über Antonio Margheritt, der einem breiteren Publikum bekannt wurde durch Streifen wie „Fünf blutige Stricke“, „In meiner Wut wieg ich vier Zentner“, „Einen vor den Latz geknallt“ und nicht zuletzt „Höllenhunde bellen zum Gebet“); da gibt es Previews, Drehberichte und einen reichhaltigen Rezensionsteil, in dem nicht Zensuren, Punkte oder Sternchen, sondern, wie billig, Knochen vergeben werden – und dem man erfreulicherweise anmerkt, dass hier keine intellektuellen Wasserköppe und zynischen Mietschreiberlinge ihr kalkuliertes Handwerk verrichten, sondern passionierte Fans mit liebevoller Aufmerksamkeit ihren Gegenstand herzen.

Das Glanzstück des Magazins sind aber seine so genannten „Schnittberichte“, mutige, aufrüttelnde Analysen, in denen die Autoren geschnittene und ungeschnittene Fassungen miteinander vergleichen und die zensierten Passagen akribisch-minutiös, nein sekundös in aufrichtige und einfühlsame Worte kleiden – das auf so infame Weise zerstörte visuelle Erlebnis, man denke, durch die und in der Sprache restaurieren. Im jüngsten Heft hält der verdiente Mitarbeiter „Slasher“ (ein Pseudonym!) der FSK den Spiegel vor und breitet einen Skandal vor uns. Das alles nämlich wurde uns bisher in „Die Nacht der Creeps“ vorenthalten: „71:32 (2,5 sec) Nur in der TV-Fassung sieht man den Treffer im Schädel des Zombies und das anschließende Heraustreten der Creeps ...“ Auch das noch: „71:56 (11 sec) Es fehlt, wie Cindy mit dem Flammenwerfer noch einen Zombie verbrennt. Danach schießt sie noch einem Zombie in den Kopf, gefolgt von weiteren Creeps, die heraus flutschen ...“

Man könnte so fortfahren. Ganz milde und vorweihnachtlich aber stimmt uns schließlich doch, dass selbst so harte Hunde wie Slasher und Bethmann noch nicht abgestumpft sind von ihrem schwierigen, fast hätte ich gesagt: schmierigen, aber, wie wir gesehen, ja durchaus notwendigen Job. Beim italienischen Blut-und-Hoden-Streifen „Junge Mädchen zur Liebe gezwungen“ etwa verschlägt es sogar ihnen die Sprache: „Der Film ist super krank und bekommt 10 Punkte auf der Skala der frauenfeindlichen Richterskala. Dass die ungeschnittene Version bei uns verboten wurde, ist sicherlich in ganz kleinem Maße verständlich.“ In ganz kleinem Maße!

Man sieht, hier schreiben keine verbohrten Ideologen, sondern kritische Aufklärer, die sich ihrer Verantwortung jederzeit bewusst sind. Einmal „Skala“ müssen wir allerdings abziehen.

Frank Schäfer

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