: Mit Geige die Welt erobern
Was kleine Musiker brauchen: Talent, Leidenschaft, einen starken Willen und gute Lehrer. Dazu Bücher, die deren Welt den anderen näher bringt ■ Von Marie Müller
Ein Kind will Klavier spielen, es macht schnelle Fortschritte, alle sind begeistert. In dem Buch „Das Ausgleichskind“ werden die bei Musikerkindern typischen Probleme ironisch flott geschildert. Allzu schnell ist für die Eltern das Berufsziel klar. Dieses Kind soll Pianistin werden. Also wacht die Mutter fast diktatorisch über Magret und ihr Klavierspiel. Es kommt, wie es kommen muss. Eines Tages weiß Magret nicht, ob sie Klavier spielen will, soll oder muss.
Freund Akki nennt sie das Ausgleichskind, weil ihre Eltern sie brauchen, um auf etwas stolz sein zu können. Gleichzeitig verlangt er, dass Magret bei Umweltaktionen mitmachen soll. Alle wollen etwas von ihr, keiner fragt, was sie selbst will. Die Situation eskaliert, als Magret den Schulwettbewerb verliert. Sie hat Angst vor der Reaktion ihrer Mutter und macht einen genialen Schachzug. Sie schenkt ihrer Mutter die Klavierstunden. Ein locker geschriebenes, ironisches Buch, das aber nichts Spezifisches über das Klavierspielen berichtet. Kirsten Boie: „Das Ausgleichskind“, dtv junior, ab 11 Jahre, 9,80 DM
Versteckte Leidenschaft
Auch um Ärger mit den Eltern geht es in „Ein Blues für Georgie“. Es ist die berührende Geschichte von Schein und Sein. Sie spielt in North Carolina. Der tyrannische Pastor eines kleinen Ortes will eine Vorzeigefamilie. Die Mutter und der jüngste Sohn haben Angst vor ihm. Die jugendliche Tochter streitet sich ständig, und Neal, der die Geschichte erzählt, versucht unauffällig zu sein. Sein wahres Leben findet außerhalb der Familie statt. Seit eine Klavierlehrerin ins Dorf gezogen ist, nimmt er heimlich Unterricht. Seine Leidenschaft gehört dem Jazz. Heimlich übt er in der Kirche oder bei seiner Lehrerin, die nach und nach die ganze Familientragödie begreift. Der kleine Bruder Georgie ist das schwächstes Glied der Familie. Mit seinem Zusammenbruch ist auch das Ende der Tyrannei des Vaters gekommen.
Mitten in der Nacht geht Neal in die Kirche, öffnet Fenster, Türen und das Klavier. Das Klavier kichert und brüllt. Sie machen einen Höllenlärm. Das ist der wirkliche Neal. Er spielte einen Blues für Georgie. Ein sehr berührendes Buch, das viel von dem verrät, was Musik machen bedeutet. Suzanne Newton: „Ein Blues für Georgie“, Beltz&Gelberg, ab 14 Jahre, 14,90 DM
Musik macht Mut
Für Stephen ist die Musik Lebensinhalt. Er lebt in einer Reha-Klinik. Seine Krankheit ist so weit fortgeschritten, dass er nur noch in ein computergesteuertes Keyboard seine Kompositionen eingeben kann. Toni dagegen war kerngesund, gerade als Klarinettenspieler in die neue Schulband aufgenommen, als ein schwerer Verkehrsunfall ihn in die Reha-Klinik beförderte. Das war das Aus für die Band und für viele Monate auch für Toni. Stephen sorgt dafür, dass er den Mut nicht verliert. Zwei Schulfreunde helfen ihm, den Kontakt zur Außenwelt zu halten. Aber es ist Stephen, der alle davon überzeugt, dass sie die Schulband neu gründen müssen und am großen Wettbewerb teilnehmen werden. Seine ganze Lebensenergie steckt er darein. Tonis Zitterhände können keine Klarinette mehr halten. Er bekommt ein elektronisches Percussiongerät. Und weil sie so besessen sind, wirft sie der Ausflug in die Welt der Normalos nicht um. Sie kämpfen, um zu siegen. Mit der Musik überschreiten sie die Grenzen der Krankheit.
Ein sehr feinfühliges Buch, das geschickt mit Innen- und Außensichten spielt, bis die Hoffnungsmelodie erklingt, ganz ohne falsche Mitleidstöne. Jane Mitchell: „Und über uns der Sternenhimmel“, dtv pocket plus, ab 12 Jahre, 11,90 DM
Die Macht der Musik
Musik kann benützt werden, um bestimmte Gefühle auszulösen. Nationalhymnen tun das, Widerstandslieder auch, und dazu gehört auch die irische Musik.
Irland 1920. Die Sinn Féin hat 1919 die Parlamentswahlen gewonnen. In Dublin leben die Menschen im elendsten Slum Europas. Viele Männer sind nach Amerika ausgewandert. Der Guerillakrieg beginnt. In dieser Situation wird die Halbwaise Ethne mit Köfferchen und Geige von ihrem Vater aus der Klosterschule geholt. Der Vater will auswandern, sein Kind soll zum fremden Großvater, einem berühmten Fiedler, nach Irland. Er schickt sie nach Dublin. Dort erwartet sie niemand.
Doch die Geige öffnet Türen. Trotz größter Armut wird sie in eine fünfköpfige vaterlose Familie aufgenommen. Ihre Musik lässt die Leute ihr Elend vergessen. Die Wirren des Bürgerkrieges ergreifen auch ihre Ersatzfamilie. Da wird die Geige zum Schutzschild und das Klavier zum Waffenlager. Schließlich muss sie aufs Land fliehen. Dort endlich finden der König der Fiedler und seine Enkelin zueinander. Ein spannendes Buch, das trotz seiner manchmal umständlichen Sprache voller Leben steckt. Die Schriftstellerin Patricia Lynch, immerhin Jahrgang 1898, gehört auch heute noch in Irland zu den viel gelesenen Klassikern. Patricia Lynch: „Die Fiedlerin“, Altberliner Verlag, ab 10 Jahre, 29,80 DM
Musik und Krieg
Zur gleichen Zeit in Irland spielt das Buch: „Eine Melodie für Nora“. Auch hier ist von großer Armut die Rede. Mit 14 Jahren wird Nora Halbwaise, verliert ihre Brüder an Amerika und wird selbst von Molly, einer Schwester ihrer verstorbenen Mutter, und deren Mann Peter aufgenommen. Ihr Vater ist Alkoholiker und kann nicht für sie sorgen. Der Vater gibt Nora die Schuld an dem frühen Tod der Mutter. Nora ist entschlossen, nie mehr Klavier zu spielen und sich niemals bei ihrer Tante einzuleben. Die Tante hat ganz andere Ansichten als ihr Vater.
Trotz Bürgerkrieg sind ihr die Menschen wichtiger als ihre Parteien. Gut und Böse scheint nicht mehr zu stimmen. Wider Willen wird sie in das Kriegsgeschehen verwickelt. Dabei kann sie sich von Destruktivität ihres Vaters befreien und findet zur Musik zurück. Sie weiß, dass ihre misstrauische, pessimistische, innere Stimme nicht Recht hat. Musik ist nicht eine Lüge, die nur vortäuscht, dass es Freude gibt. Ein vielschichtiges Buch und in letzter Konsequenz ein Aufruf für den Frieden. Mark O'Sullivan: „Eine Melodie für Nora“, Freies Geistesleben, ab 13 Jahre, 28 DM
Mit Musik die Welt erobern
Ging es bisher mehr um Geschichten mit Musikbegleitung, wird es jetzt handwerklich. Der Kampf mit dem Instrument steht im Mittelpunkt. Sehr originell wird das in dem Buch „Die verzauberte Geige“ dargestellt. Der elfjährige, etwas klein geratene Johannes hadert schnell mit seinem Schicksal. Kyrre und seine Gang, die ihn hänseln, weil er Geige spielt. Die Mutter, die ihn Hansel nennt. Seine Ohren, die leuchten wie rote Laternen. Der Vater, der nur so tut, als schriebe er einen Roman. Doch dann passiert Wunderbares. Auf der Flucht vor Kyrre huscht er in den Laden eines seltsamen Geigenbauers, der ihm eine Geige gibt und ein goldenes Medaillon und den Rat: „Folge deinen Träumen.“
Von nun an läuft alles wie geschmiert. Kyrre erledigt das Medaillon. Es hat Zauberkräfte. Die neue Geige klingt, dass ihm selbst die Tränen kommen, kein Krachen, kein Quietschen. Der Geigenlehrer kann es nicht fassen. Endlich ist Johannes' Talent aufgeblüht. Er ist ein Wunderkind. Mit der Geige wird er die Welt erobern. Viel zu früh taucht der geheimnisvolle Geigenbauer auf und erklärt ihm, was Johannes eh ahnte, alles sei eine Verwechslung. Doch jetzt ist er stark genug, über die Abenteuer des Alltags zu triumphieren, und wagt sich sogar ein Stückchen darüber hinaus.
Virtuos werden in diesem Buch Realität und Fantasie gemischt. Spaß, Ernst, ein bisschen Ironie und eine Prise Märchen sorgen für ein gelungenes Leseerlebnis. Tone Kjaernli: „Die verzauberte Geige“, Verlag Sauerländer, ab 11 Jahre, 29,80 DM
Träume realisieren ist harte Arbeit
Als Jason sechs Jahre alt war, wollte er unbedingt Dudelsack spielen. Als er neun war, spielte er Geige, weil es dem Dudelsack irgendwie nahe kam. Der Schuldirektor bemerkte sein Talent. Er bekam eine bessere Geige, eine strengere Lehrerin und übte in den Schulpausen. Manchmal hat er Angst vor dem Unterricht, aber er weiß, sie will nur, dass er so gut wie möglich wird. Schonungslos deckte sie seine Fehler auf: „Bessere Intonation, sauberer, klarer, achte auf den Bogenarm. Mehr Vibrator. Das ist eine viertel Note , und noch einmal, noch einmal ... Werde lockerer. Wie viele Stunden hast du geübt?“ Während des Schulunterrichts wird die Geige im Schreibtisch des Direktors eingeschlossen. Für manche Mitschüler ist die Tatsache, dass sich einer freiwillig mit einem Instrument abrackert, Provokation.
Wer Geige spielt, wenn er Basketball spielen könnte, ist ein Weichei. Der Direktor tröstet Jason. Doch dann wird der Direktor krank, für Jason ein Abschied auf Raten. Seine Geige wird zerstört. Doch Jason gibt seinen Traum nicht auf.
In diesem Buch schreibt eine Mutter über eine entscheidende Episode der Kindheit ihres Sohnes. Sie tut es mit Stolz und viel Einfühlungsvermögen. Sie wertet nicht zwischen Geige oder Basketball. Sie plädiert für Toleranz. Jeder folgt seinem Traum. Jane Breskin Zalben: „Zeit für Träume“, Erika Klopp Verlag, ab 12 Jahre, 22,80DM
Ohren auf und durch
So ehrlich wie im folgenden Buch wird in keinem beschrieben, was es heißt, ein Instrument so vollendet wie möglich spielen zu wollen. Es ist gewissermaßen der Kampf Sarahs gegen den Rest der Welt. Fünf Jahre hat sie bei einem Posaunenlehrer Cello gelernt. Einmal die Woche fährt sie nun von Long Island nach New York, um bei einer berühmten Lehrerin Unterricht zu nehmen. Nebenbei besucht sie ihre Freundin und verliebt sich in deren Bruder David.
David hat das Gitarrenstudium geschmissen, zu viel Konkurrenzgerangel. Sarah will trotzdem Cellistin werden, auch wenn ihr in der ersten Stunde gesagt wird, dass sie bei ihrem alten Posaunenlehrer fünf Jahre schlechten Cellounterricht hatte, schlampige Technik, schlechte Angewohnheiten, falsche Vorstellungen. Aber sie hat die Hände einer Cellistin, stellt die Lehrerin fest, und es wäre schade, sie an eine Posaune zu verschwenden. Die Stunden in den nächsten Wochen sind Terror. Alles was sie tat, wurde korrigiert. Doch nach Wochen harter Arbeit merkt sie, dass sie besser wird. David trifft sie jeden Samstagnachmittag. Nach der Musik ist er das Wichtigste in ihrem Leben geworden. Doch David will mehr, als Sarah bereit ist zu geben. Sie will ihre Musik nicht missen. Das Wunderbare an diesem Buch ist, dass Sarah ihr Ziel nicht aufgibt. Das macht es spannend bis zur letzten Seite, und das ist sogar in der Welt der Bücher selten. Lucy Frank: „Willst du mein Rosenkohl sein?“ Alibaba, ab 14 Jahre, 24 DM
Künstlerliebe
Typischer dagegen ist die Mädchenfigur „In Tage mit Goldrand“. Es ist eine sanfte Liebesgeschichte. Ein Mädchen namens „Elise“, das ungern Klavier spielt, lernt in der Musikschule einen Harfenisten kennen. Eine behutsame, schöne Liebe entsteht. Seine Harfenmusik begeistert sie. Von ihrem Klavier ist nicht mehr die Rede. Für ihn dagegen ist die Harfe das Wichtigste. Um mehr zu lernen, geht er nach Irland, nimmt ihre Trennung in Kauf, und sie akzeptiert es. Diane Broeckhoven: „Tage mit Goldrand“, dtv junior, ab 14 Jahre, 9,90 DM
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