: Dr. M kann's nicht lassen
Die Parlamentswahlen in Malaysia entscheiden vor allem über das künftige Gewicht des politischen Islam. Am erneuten Wahlsieg der Parteien des autoritären Premierministers Mahathir zweifelt niemand ■ Von Jutta Lietsch
Bangkok (taz) – Wahlkampf in Malaysia könnte öde sein. Denn Kundgebungen unter freiem Himmel sind verboten, repräsentative Meinungsumfragen gibt es nicht, die Medien hängen an der kurzen Leine der Regierung von Dr. Mahathir Mohamad, und niemand bezweifelt, dass dessen „Vereinigte Malayische Nationale Organisation“ (UMNO) bei den Wahlen am Montag wieder eine Mehrheit im Parlament erzielen wird. Doch von Langeweile ist nichts zu spüren: Denn die Wahl gilt nicht nur als Referendum über den „Dr. M“ genannten autokratischen Regierungschef, der seit 1981 in Kuala Lumpur regiert. Sie wird auch entscheiden, welches Gewicht der politische Islam künftig in dem südostasiatischen Land erhält. Über die Hälfte der Bevölkerung sind muslimische Malayen, daneben gibt es eine starke chinesische (rund 30 Prozent) und eine indische (10 Prozent) Minderheit sowie zahlreiche indigene Volksgruppen.
Nach den dramatischen Ereignissen des vergangenen Jahres, als der 73-jährige Mahathir seinen designierten Nachfolger und Vizepremier Anwar Ibrahim aus dem Amt stieß und ins Gefängnis werfen ließ, hat sich die politische Landschaft stark verändert. Auf der einen Seite steht weiterhin die seit der Unabhängigkeit 1957 regierende „Nationale Front“. Ihr gehören neben Mahathirs UMNO 13 weitere Parteien an, darunter spezielle chinesische und indische Parteien. Auf der anderen Seite aber hat die Opposition erstmals ein Wahlbündnis gebildet, die „Alternative Front“. Sie informiert die Malaysier per Internet und schickt in jedem Wahlkreis nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin ins Rennen, um sich nicht untereinander Konkurrenz zu machen. Allerdings haben die Behörden die Wahlbezirke inzwischen so aufgeteilt, dass die Regierungsparteien fast die Hälfte aller Stimmen verlieren könnten, ohne die Zweidrittelmehrheit im Parlament zu verlieren.
Malaysias gezähmte Zeitungen verkünden in den letzten Tagen wieder und wieder die Botschaft der Regierung: Wer für Mahathirs Nationale Front votiert, wählt wirtschaftlichen Aufschwung und Stabilität. Unermüdlich erinnern sie die Bürger an die Verdienste des Premiers, unter dem Malaysia sich vom verschlafenen Plantagenstaat zum modernen High-Tech-Land wandelte. Nur seiner Führung sei es zu verdanken, dass die malayische Bevölkerungsmehrheit mittlerweile einen wachsenden Anteil am Reichtum des Landes erzielen konnte, der traditionell in der Hand der chinesischen Minderheit war.
Die Wahlposter der Regierungsparteien, auf denen randalierende Demonstranten zu sehen sind, warnen vor politischem Wandel. Wer die Opposition wählt, so die unmissverständliche Botschaft, wählt wirtschaftliches Chaos, islamischen Extremismus und antichinesische Krawalle, wie sie Malaysia schon Ende der Sechzigerjahre oder Indonesien vor einem Jahr erlebte.
Große Teile der chinesischen Minderheit sind Mahathir bis heute dankbar für den sekularen Kurs seiner Partei. Sie misstrauen daher der Alternativen Front, in der sich vier sehr unterschiedliche Parteien zusammengeschlossen haben: die von Chinesen dominierte „Demokratische Aktionspartei“, die kleine sozialistische „Volkspartei“, die von Anwars Ehefrau Wan Azizah wan Ismail geführte „Nationale Gerechtigkeitspartei“ und die islamistische „Panmalaysische Islamische Partei“ (PAS). PAS ist die einzige Oppositionspartei, die in immerhin einem Bundesstaat die Regierung stellt.
Auslöser für die erstaunliche Allianz war der verbreitete Zorn über die verächtliche Behandlung Anwars, der im Gefängnis vom damaligen Polizeichef verprügelt und in einem zweifelhaften Prozess wegen Vertuschung angeblicher sexueller Verfehlungen zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Plötzlich wurde aus Anwar, der immerhin 16 Jahre lang zu Mahathirs engstem Kreis gehörte, ein politischer Märtyrer, der aus dem Gefängnis heraus gegen Korruption und Vetternwirtschaft wettert.
Die Forderung nach Gerechtigkeit für Anwar, einer Beschränkung der Amtszeit des Premiers und der Abschaffung des drakonischen Sicherheitsgesetzes eint die Anhänger ansonsten unterschiedlicher politischer Ziele: Während oppositionelle Chinesen einen sekulären Staat fordern, hat die PAS nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie die Shariah einführen will.
Die PAS profitierte in den letzten Monaten am meisten von der Unzufriedenheit mit Mahathir und rekrutierte hunderttausende neue Anhänger. Falls sie dies am Montag ist Stimmengewinne umsetzen kann, könnte sie damit jenen Kräften in Mahathirs Regierungspartei Gewicht verleihen, die schon lange eine stärkere Islamisierung der Politik fordern.
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