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Schwuler zum Chef: Leck mich doch

■ Geläutert und geoutet kehrt Tory-Hoffnungsträger Michael Portillo ins britische Parlament zurück – als Rivale des Parteiführers

Dublin (taz) – Niemand, der noch wach war, wird den Augenblick vergessen: Damals, in der britischen Wahlnacht des 1. Mai 1997, kam kurz vor vier die Nachricht, dass Verteidigungsminister Michael Portillo seinen sicher geglaubten Wahlkreis an einen 29-jährigen schwulen Labour-Neuling verloren hatte. Da dämmerte es den Tories, dass ihre Wahlniederlage noch verheerender ausfallen würde, als sie es befürchtet hatten. Nun ist Portillo wieder da.

Bei der Nachwahl im vornehmen Londoner Wahlkreis Kensington & Chelsea, die wegen des Todes des exzentrischen Tory-Abgeordneten Alan Clark notwendig geworden war, siegte am Donnerstag mit 56,4 Prozent der Stimmen weit vor dem Labour-Kandidaten Robert Artkinson, der auf 22 Prozent kam. Alles andere wäre auch eine Sensation gewesen, denn die Gegend ist schon immer konservativ. Nicht mal 30 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab.

Portillos Wahlerfolg ist zwar deutlich, aber nicht überragend. Die Tories schafften nur einen Wählerumschwung von 4,4 Prozent – und das zur Halbzeit zwischen zwei Parlamentswahlen, wenn die jeweilige Regierung normalerweise in der Gunst der Wähler am tiefsten steht.

Portillo sagte gestern, es sei ein „fantastisches Privileg“, ins Unterhaus zurückkehren zu dürfen. Der frühere Tory-Rechtsaußen gibt sich geläutert. Vor vier Jahren noch bezeichnete er ledige Mütter als Parasiten, jetzt predigt er Pluralismus und fordert Toleranz gegenüber allein Erziehenden sowie homosexuellen Partnerschaften. In diesem Jahr hatte er erstmals zugegeben, früher selbst „homosexuelle Erfahrungen“ gemacht zu haben.

Tory-Chef William Hague sieht Portillos Wahl mit gemischten Gefühlen, wird der Ex-Minister doch bereits als Anwärter für Hagues Posten gehandelt. Zwar betonte Portillo gestern immer wieder, er werde Hague loyal unterstützen und zufrieden auf den Hinterbänken Platz nehmen, doch Hague stolpert von einer Blamage in die andere. Zuletzt musste der Trivialschriftsteller Jeffrey Archer als Tory-Kandidat aus dem Rennen um den Posten des Londoner Bürgermeisters aussteigen, weil herausgekommen war, dass er vor zwölf Jahren in einem Verleumdungsprozess gegen den Daily Star einen Freund zur Falschaussage überredet hatte, um ihm ein Alibi zu verschaffen.

Portillo hatte noch vor zwei Wochen mit dem Lügenlord für ein Poster Modell gestanden. „Wir werden sehr eng zusammenarbeiten“, sagte Portillo damals. Vorigen Montag behauptete er: „Ich war keiner von denen, die Archer unterstützt haben.“ Der Schaden ist für Hague jedoch ungleich größer als für Portillo, denn viele Tories werfen ihm vor, Archers Kandidatur nicht verhindert zu haben, obwohl genügend Hinweise auf Leichen im Keller des Schriftstellers vorlagen.

Dann gab es auch noch eine Parteispendenaffäre, als Anfang der Woche herauskam, dass Tory-Schatzmeister Michael Ashcroft eine Million Pfund im Jahr über eine Bank in Belize, wo er aus Steuergründen seinen Hauptwohnsitz hat, in die Parteikasse einzahlt. Das bisher letzte Desaster passierte Hague im Wahlkampf: Er wollte Portillo bei einer Veranstaltung unterstützen, trat jedoch angesichts einer Labour-Demonstration vor dem Gebäude die Flucht an und irrte mit dem Auto durch Kensington, gefolgt von einem Kamerateam, während Portillo sich den Fragen der Wähler stellte.

Mit Portillos Ausstrahlung im Unterhaus kann niemand sonst aus der Tory-Führung mithalten. Hague wird nun versuchen, ihn mit einem Job im Schattenkabinett auf Loyalität zu verpflichten. Doch spätestens nach der für wahrscheinlich gehaltenen konservativen Niederlage bei den nächsten Parlamentswahlen, die vermutlich 2001 stattfinden, ist Portillos Stunde gekommen. Er will erster Tory-Premierminister im neuen Jahrtausend werden. Daran hat sich trotz der Wahlnacht des 1. Mai 1997 nichts geändert.

Ralf Sotscheck

In diesem Jahr gab Michael Portillo erstmals zu, eigene „homosexuelle Erfahrungen“ gemacht zu haben

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