: Nix mehr Millionärs-Mär
Fertig - Aus - Amen“: Mit ironischem Lächeln tun die Bayern so, als schmerze es sie gar nicht, nach 22 Jahren wieder gegen 1860 verloren zu haben ■ Aus München Albert Hefele
Was für ein Tag für das Derby! Ein Samstag wie gemalt. Auf dem Marienplatz und am Viktualienmarkt zertrampelte man sich gegenseitig und saugte schon früh am Weizenbier. In der U-Bahn staunte ein kleiner Bub mit Bayern-Fahne, als die Menge „Wir wollen keine Bayern-Schweine!“ skandierte und kurz drauf rauften zwei rotgesichtige, extrem emphatisch dreinblickende Männer. Tatsächlich nur wegen Fußball. Ist das nicht schön?
Dabei war eigentlich alles schon klar. Von vornherein – im 189. Derby der beiden Stadtrivalen 1860 München und Bayern München. Die, wie es das Münchner Volk so nennt, armen und braven Arbeiter von 1860 würden 90 Minuten den Rasen des Olympiastadions pflügen, ihre Chancen vergeben aber niemals aufgeben. Aber: in einem der Momente, in dem sie sich ihren rechtschaffen erlaufenen Schweiß von der Stirne wichten, würden dann die – wie es das Münchner Volk will – Millionäre von der Säbener Straße – dies heimtückisch ausnützen und mit viel Glück a Hais‘l moch‘n.
Die Zeiten, in denen nur die Säbenersträßler Millionäre waren, sind längst vorbei, dass der gemeine Münchner zu 60 hält, war schon immer so und wird wohl so bleiben. Des is hoit a Draadizionsvarrein, so sagt man. Keine Diskussion, und außerdem hat Ottfried Fischer hundertprozentig recht, wenn er sagt: „In München geht es nicht so sehr darum, für welchen Verein man ist, sondern gegen welchen.“
Gegen die Bayern kann man halt besser sein. Neid ist dabei, weil die „Roten“ schon zu erfolgreich sind und auch im Scheitern nie wirklich tragisch und hoffnungslos wirken, weil sie ihren Soll-Erlebnissen immer und sofort einen Haufen Haben-Posten gegenüber stellen können. Ihre Summen sind immer im Plus. Keine endgültigen Niederlagen, keine wirklichen Katastrophen, wie sie das kleine Leben kennt. Das läuft alles zu glatt. Darum tragen die von den „Bayern“ alle die Nasenlöcher etwas zu hoch und verlieren niemals dieses winzige ironische Schmunzeln aus den Mundwinkeln. Dieses „Was wollt‘s denn ihr?“-Schmunzeln. Dieses: „Leistet doch erstmal das, was wir schon geleistet haben“-Lächeln. Solche Leute hassen die einheimischen Münchner wie die Pest.
Da mögen sie schon lieber den barocken Schnauzbartträger Wildmoser oder den holzschnittartigen Lorant, der das Wort Ironie, wenn überhaupt nur vom Hörensagen kennt. Darum lieber einen Sieg der Sechziger. Wenigstens im Derby. Der letzte 60er Sieg datierte allerdings auf das Jahr 1977.
Es fing dann genauso an, wie es die bayerischen Miesmacher prophezeit hatten. Nach einer kurzen Warmlaufphase nahmen die Weiß-Blauen ihre Arbeit auf und das Spiel in die Hand. Zwischen der 25. und 30. Munute hätte man eine historische Viertelstunde schaffen und Paul Agostino hätte ein Münchner Held für ewige Zeiten werden können. Zweimal hämmerte er das runde Ding ans Lattenkreuz. Dazu noch ein fulminanter Vanenburg-Freistoß, den Kahn so grade noch an die Querlatte abfälschte. Der angeblich in Spanien weilende Lorant zappelte auf der Tribüne, wie vom Veitstanz befallen und alle, alle Sechziger sahen resigniert abwinkend, das sichere Unheil kommen: wemma solchane Chancen herschenkt...
Viel hätte nicht gefehlt. Wenn zum Beispiel Hasan Salihamidzic von rechts in den Strafraum eindringend, den Ball nicht mit dem rechten Außenrist, sondern mit dem linken Innenrist angenomment hätte. Oder: wenn Paulo Sergio nicht fünf Meter vor dem Tor über den Ball gesäbelt hätte. Es hätte sein können und die Mär von Unglück und Pech auf der einen Seite und dem immer den Roten anhängenden Glück wäre fortgeschrieben worden.
Diesmal kam es anders und das Glück traf auch noch den richtigen. Thomas Riedl probierte es einfach aus guten zwanzig Metern. Thomas Linke machte genau im richtigen Moment die Beine breit und dem Ball den Weg frei zum 1:0. Alles hatte seine Ordnung und keiner widersprach. Weder Ottmar Hitzfeld: „Die Sechziger hatten alle wichtigen Szenen für sich“, noch Uli Hoeneß: „Wir haben heute schwach gespeilt. Fertig – Aus – Amen.“ Und Präsident Wildmoser schon gar nicht: „Die Bayern wollten schon gewinnen, aber wir waren die physisch stärkere Mannschaft ... tutto claro?“ Tutto claro.
Als er das sagte, war das Spiel schon eine gute Stunde vorbei. Inder Westkurve saßen aber immer noch eingige hundert Sechziger-Fans und schwenkten ungläubig die Fahnen. Schon die letzten fünf Minuten des Spieles waren im blau-weißen Glückstaumel untergegangen. Irgendwie hatte man das Gefühl, das nicht wenige in der roten Kurve mitgejubelt hatten.
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