Handgepäck für das nächste Jahrtausend: Schwaden des Verfalls
■ In einer besseren Welt sollen taz-Redakteurinnen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Leider. Ein Lob auf den 86er-Golf
Vor über zehn Jahren rief ich zum ersten Mal bei der taz an, um einen Artikel zu irgendeinem französischen Theaterfestival anzubieten. Von der Zentrale in die Kultur verbunden fragte ich aus Versehen: „Hallo, ist da die FAZ?“ Am Apparat war die damalige Kulturredakteurin Sabine Vogel, die fand das eher lustig, wollte aber der taz- eigenen Frankreich-Korrespondentin nicht ins Handwerk pfuschen und meinte, ich solle es doch mal beim Tagesspiegel versuchen. Da landete dann das irgendwie präpotent-spätlöfflerisch-pseudofeuilletonistische Artikelchen.
Die taz zu fazen, war das die Sehnsucht nach dem imaginären Mahagonischreibtisch, nach Deutschland und die Welt, nach dem Respekt, mit dem mein Opa seine Bibel, den Wirtschaftsteil der Frankfurter, aufschlug? Für meine Sozialisation im Großraum Frankfurt spielten Fest & Väter ansonsten eigentlich keine Rolle, zu Hause im Abo gab's den Wiesbadener Kurier und den Spiegel. Toll am Spiegel fand ich damals die beunruhigenden Artikelanfänge. Jeden Montag die große komplizierte Welt verpackt in die immergleiche narrative Binnenstruktur: Peter F., 58, Erna S., 32, oder Mehmet Z., 46, die morgens fröhlich pfeifend zur Arbeit gehen und bei der Rückkehr entsetzt feststellen, dass ihr Haus explodiert oder in einer Erdbebenspalte verschwunden ist.
Meine Mutter kaufte sich hin und wieder noch die Brigitte, da las ich dann immer zuerst die Vorher-nachher-Rubrik „Machen Sie das Beste aus Ihrem Typ“. Im Prinzip ist ja die Abo-Kampagne der taz auch nichts anderes. „Hallo, ist da die FAZ?“ Dafür muss man schon ziemlich bescheuert sein. Oder war's ein instinktives Koalieren mit dem Klassenfeind? Abwehr gegen die, die in der Oberstufe immer diese schwarzpink gestreiften Hosen trugen und sich in der Schwatzkultur der Arbeitsgruppen besonders wohl fühlten. Vor jedem Satz ein „Du, ...“
Ungefähr die Art von Abwehr schlägt derzeit auch dem nagelneuen Fahrrad entgegen, das mir ein wohlmeinender Mensch vor ein paar Wochen infamerweise zum ersten Arbeitstag bei der taz geschenkt hat. Jetzt wartet es anklagend im Hof. Zwei Versuche in vier Wochen. Das Auto stehen lassen und mit dem Fahrrad zur taz fahren – plötzlich kam ich mir beim Radeln vor wie die pleonastische Repräsentation schlechthin, wie Naumann, der Thomas Mann zitiert, wie im Café Einstein sitzen und Fontane lesen, wie nach dem Samstagseinkauf im KaDeWe Champagner trinken, wie die Zeit mit Lesebrille kaufen, wie Jack the Ripper mit der Splatting Image unterm Arm. Es gab noch ein kurzes selbstbetrügerisches Zwischenstadium (mit dem Fahrrad zum extra weit weg geparkten Auto, dann weiter mit dem Wagen). Jetzt fahre ich wie eh und je mit dem Auto zur Arbeit. Golf II, Baujahr 86, völlig runtergenudelt.
Und dieses Auto, bitte, muss es einfach noch ins nächste Jahrtausend schaffen. Weil es mein Fetisch ist, die FAZ in der taz, verbeulte Insignie und Schlachtross meiner Differenz. Ein rostiger Traktor, der die Oranienstraße in voller Länge mit Schwaden schlecht verbrannten Benzins verpestet, 30 Liter auf 100 km, und mit 20 Stundenkilometern dahinröhrt. Ich fahre mit eingeschalteter Warnblinkanlage, und natürlich geht mir das Ganze inzwischen auf die Nerven. Ich sehe mir staunend dabei zu, finde mich ungeheuer albern und kann nichts daran ändern. Kein masochistisches, eher ein exorzistisches, in jedem Fall ein geheimnisvolles Ritual. Sein immanentes Gesetz sagt mir, dass es noch bis Ende des Jahres dauern muss.
Bis dahin werde ich den täglich fortschreitenden Verfall des Motors beobachten. Dann beginnt das neue Jahrtausend. Dann bringe ich den Wagen oder was davon übrig ist, in die Werkstatt oder zum Schrottplatz. Und vielleicht fahre ich auch mal mit dem Fahrrad zur taz. Katja Nicodemus
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