: Der neue Bräutigam setzt die Hochzeitsfeier fort
Niedersachsens designierter Ministerpräsident Sigmar Gabriel will die Politik seines Ziehvaters Gerhard Glogowski weiterführen. Den SPD-Fraktionsvorsitzenden verbindet eine ganze Menge mit seinem zurückgetretenen Vorgänger ■ Aus Hannover Jürgen Voges
Edelgard Bulmahn war voll des Lobes. „Zügig, schnell und konsequent“ sei die „Frage der Nachfolge von Ministerpräsident Glogowski entschieden.“ So lobte die niedersächsische SPD-Landesvorsitzende und Bundeswissenschaftsministerin am Samstagnachmittag ihr eigenes Krisenmanagement.
Zügig stimmt. Originell ist die Lösung der Nachfolgefrage allerdings nicht ausgefallen. Der Fraktionsvorsitzende Sigmar Gabriel (40) soll am 15. Dezember von der absoluten SPD-Mehrheit im Landtag zum neuen Regierungschef gewählt werden. Er steht vor allem für Kontinuität, für ein entschlossenes „Weiter so!“.
„Die Politik, die Gerhard Glogowski gestaltet hat, wird fortgesetzt werden“, kündigte der designierte Ministerpräsident an, nachdem ihn die SPD-Landtagsfraktion in einer Kampfabstimmung gegen Umweltminister Wolfgang Jüttner mit 49 zu 32 Stimmen auserkoren hatte. Gabriel will ausdrücklich „die politischen Schwerpunkte nicht verändern“. Es werde in Niedersachsen „keinen Politik-, sondern nur einen Personalwechsel geben“.
Gabriel und seinen Vorgänger Glogowski (56) verbindet mehr, als nur die gemeinsame Herkunft aus dem SPD-Bezirk Braunschweig, dessen Vorsitzender der zurückgetretene Ministerpräsident ist und auch bleiben will. In der Zeit des Innenministers Glogowski war Gabriel von 1994 bis 1997 innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion. Er sieht sich noch heute als „Experte für innere Sicherheit und die Bekämpfung der Kriminalität“. Wie seinen Ziehvater Glogowski müsste man auch Gabriel dem rechten SPD-Flügel zuordnen, wenn der nicht schon allerorts sozialdemokratischer Mainstream wäre.
Der 1959 in Goslar geborene Gabriel hat es mit seinen 40 Jahren schon zu einer ordentlichen Leibesfülle gebracht – und zu einer erstaunlichen Karriere. Er war 1976 den SPD-nahen Falken beigetreten und ein Jahr später der SPD. Ab 1987 war er elf Jahre lang Kreistagsabgeordneter im heimatlichen Goslar. Im Rat der alten Stadt am Harz sitzt er heute noch, wie auch der ehemalige Oberbürgermeister Glogowski von seinem Braunschweiger Stadtratsmandat nicht lassen kann. Nur sein fünfjähriges Lehramtsstudium mit den Fächern Germanistik und Politik absolvierte Gabriel an der Universität Göttingen. Doch bereits sein Referendariat führte ihn wieder zurück an jenes Goslarer Gymnasium, an dem er auch Abitur gemacht hatte.
Bei allen landsmannschaftlichen und politischen Gemeinsamkeiten: Vom Naturell her sind der designierte und der noch amtierende niedersächsische Ministerpräsident unterschiedliche Typen. Gabriel ist schlagfertig, mit der Zunge fix, immer für lockeren Spruch gut und auch mal für einen Kalauer. Im Landtag, wo er seit 1990 sitzt und seit eineinhalb Jahren die SPD-Fraktion führt, hat er sich schnell als scharfer Debattenredner einen Namen gemacht, der namentlich den CDU-Fraktionsvorsitzenden Christian Wulff mit Ironie oder auch schon mal Beschimpfungen überzog.
In Hannover wurde schon seit Glogowskis Aufstieg zum Ministerpräsidenten vor 13 Monaten darüber spekuliert, dass Gabriel ihn rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl im Jahre 2003 ablösen könnte. Dessen schneller Sturz hat Gabriel nun allerdings regelrecht mitgenommen. Am entscheidenden Tag seiner politischen Karriere humpelte er geplagt von Kreuzschmerzen durch das hannoversche Leineschloss. „Dies ist kein Tag der Freude, sondern ein Tag der Traurigkeit“, sagte er, nachdem ihn die Fraktion nominiert hatte.
Für den Sturz seines Gerhards macht er nicht eine problematische Vorliebe für von der Industrie bezahlte Hochzeitsfeiern und andere Vergünstigungen verantwortlich, sondern allein die Medien. „Auch noch die obskurste Behauptung wurde als Tatsache berichtet“, empörte er sich und resümierte die ganze Affäre mit den Worten: „Die Integrität des niedersächsischen Ministerpräsidenten Glogowski steht für mich außer Frage.“ Und eine Hochzeitsfeier steht für ihn derzeit nicht an. Gabriel ist verheiratet und hat ein Kind, lebt aber von seiner Familie getrennt.
Umweltminister Wolfgang Jüttner, der am Samstag die Abstimmung um die Glogowski-Nachfolge verloren hat, soll auch einer künftigen Regierung Gabriel angehören. „Ohne Wolfgang Jüttner im Kabinett geht es gar nicht“, sagt Gabriel. Jüttner verdankt seine Niederlage auch einem persönlichen Eingriff von Bundeskanzler Gerhard Schröder in die Niederungen der niedersächsischen Landespolitik. Immerhin hatte Gabriel den Vorgänger seines Vorgängers am vergangenem Donnerstag in Berlin aufgesucht. Am Freitagabend, als in der niedersächsischen Staatskanzlei im kleinen Kreis die Nachfolge besprochen wurde, waren dort auch der Bundeskanzler und sein SPD-General Müntefering dabei. Beide wollten allerdings kein Fernsehbild im Zusammenhang mit der Glogowski-Affäre und der Nachfolgeregelung liefern: Durch den Hintereingang betraten die beiden Politiker das Gebäude. Später verdrückten sie sich heimlich auf dem umgekehrten Wege.
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