piwik no script img

Soziologie der Vollfriseure

■ Tennis Borussia verliert nach dem Remis gegen Offenbach Kontakt zur Tabellenspitze

Tennis Borussia und Offenbach trennten sich am Sonntag 0:0, Sieger wurde die Soziologie. Genüsslich nuckelte der hessische Trainer Peter Neururer nach dem Abpfiff an seiner Zigarette. Seine oft belächelte Macke, ihm untergebene Fußballer erst mittels Soziogrammen zu erfassen, um sie dann zu einer Elf zu formen, hatte offensichtlich gewirkt. Dank einer kollektiven Energieleistung hielt der Tabellenletzte das Remis beim haushohen Favoriten TeBe.

„Das Paradoxe ist, dass wir eigentlich gewinnen wollten“, dozierte Neururer, ein gelernter Historiker, der seine Spieler je nach Güteklasse in „Vollfriseure“, „Eisverkäufer“ oder „Hammerwerfer“ zu unterteilen pflegt. Woraufhin Borussias Aufsichtsratschef Erwin Zacharias, ein leibhaftiger Professor für Finanzen aus Göttingen, mit verärgertem Blick den Raum verließ.

„Meine Mannschaft war schon vor dem Anpfiff nervös“, meinte TeBe-Trainer Winfried Schäfer. Wohl nicht ohne Grund, denn nach zuvor drei Spielen ohne Sieg war der Erfolgsdruck für TeBe schier unerträglich. Tabellenführer 1. FC Köln ist bereits um neun Punkte enteilt und selbst „Nobody“ Cottbus als Rangzweiter hat schon sieben Zähler mehr als der Aufstiegsfavorit aus der Hauptstadt.

20 Millionen Mark spendierte die TeBe-Klubleitung, damit Schäfer sein Wunschteam zusammenstellen konnte. Inklusive Aufstiegsgarantie, versteht sich. „Wir kriegen das in den Griff, da bin ich sicher“, blieb Schäfer nach dem Offenbach-Desaster optimistisch. „Es muss sich ein Kern von drei bis vier Leuten herausbilden, die die Mannschaft führen“, legte er nach. Aber wer sind Schäfers Leithammel? Stürmer Sasa Ciric konnte nicht mal die Fans mitreißen. Als der Makedonier frühzeitig den VIP-Raum verließ, raunte Schäfer: „Ich habe ihm schon mal gesagt, dass er mit seinen Mitspielern ein Bier trinken gehen soll.“ Derselbe Ciric galt letzte Saison, noch in Nürnberg spielend, als begehrte Bundesliga-Perle.

Dem TeBe-Coach dämmerte es: „Entscheidend ist, dass man Ordnung reinkriegt.“ Deshalb musste sich Rechtsaußen Ansgar Brinkmann auch tüchtige Trainerschelte gefallen lassen. Der Neuzugang aus Frankfurt war gegen Offenbach nach schwachem Spiel zur Halbzeit ausgewechselt worden. „Warum immer ich, warum hat Schäfer mich überhaupt geholt?“, fragte der Blondschopf. Doch vom herrschaftsfreien Diskurs wollte Schäfer ebenso wenig wissen wie von Neururers Abriss der „Vollfriseur“-Psyche. „Wenn wir anfangen zu diskutieren, werden wir nicht aufsteigen“, unkte Winni. Bei TeBe zählt nur noch der profane Punkterwerb. Jürgen Schulz

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen