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Blut ist nicht gleich Blut

■ Parodie auf den politisch korrekten Boulevard: Nicky Silvers „Die Altruisten“ unter der Regie von Peter Wittenberg im Gorki Studio

Manchmal beginnt ein Theaterabend mit einem Schock. Das Licht geht an, und plötzlich steht da ein Schauspieler und fängt an zu schauspielern. Tut, als wäre er der, den er spielt, und man sieht die ganze Anstrengung, die ihn das kostet. Zum Beispiel gestern abend im Studio des Maxim Gorki Theaters, wo es die deutschsprachige Erstaufführung von Nicky Silvers Stück „Die Altruisten“ gab. Plötzlich steht da also Thomas Schmidt, und schon fünf Minuten später ist klar: Er spielt den verklemmten und schwulen Enddreißiger Ronald mit seiner typisch durchschnittlichen Mittelklassenbiografie.

Szenenwechsel. Vor einem Bett steht eine blond perückte Frau und arbeitet ihr ganzes Liebesleid monologisch ab. Adressat ist der Geliebte, der unter der Bettdecke liegt und schläft. Am Ende schießt sie auf ihn. Blut spritzt wie eine Fontäne durch die Bettdecke.

Wieder Szenenwechsel. Im Zimmer nebenan erwacht ein verlottertes Paar. Sie: Lesbe auf Abwegen (Heteros!). Er: der, von dem man eben noch dachte, dass er erschossen wurde. Im Bett nebenan liegt die falsche Leiche. So kommt der Plot in Gang. Und bald ist man mittendrin im krachenden Boulevard, dessen Protagonisten die postmodernen Spießer sind, die sich in allen Silver-Stücken tummeln. Außen schrill, politisch und cool. Innen verlogen, armselig und blöd. Diesmal hat Silver sich die so genannten Altruisten vorgenommen, jene politisch korrekten Zeitgenossen, die selbstlos für das Gute kämpfen, am Ende aber fieser und egoistischer sind als die, gegen die sie sich empören.

Regisseur Peter Wittenberg zieht ziemlich vom Leder. Man weiß zunächst nicht, was die berühmten Minderheiten ihm getan haben. Man ärgert sich auch über Silvers Klischees: die militante Lesbe, die bloß aus politischen Gründen lesbisch ist, privat aber auf Männer steht; das Dummchen aus der Soap-Opera, das einem windigen Revoluzzer verfallen ist; der schwule Sozialarbeiter, der sich in einen drogensüchtigen Stricher verliebt.

Aber dann sieht man im Dunkeln das Grinsen der Schauspieler, die gerade nicht dran sind. Wie die Kollegen sich mühen, strampeln, grimassieren, um die Figuren schrill rüberzubringen! Man schöpft Verdacht, dass alles doch nicht eins zu eins gemeint ist. Und irgendwann weiß man nicht mehr: Macht sich der Regisseur über Nicky Silver lustig (übrigens zu Recht), oder wird hier am Ende Thomas Ostermeier parodiert? Auf der vermüllten Bühne von Sascha Gross geht es rund. Blut, Sex, Geschrei, Gelächter. Aber hinter der Oberfläche des Klischees lauert die Tücke, bei der Beurteilung ist allerhöchste Vorsicht geboten. Am Ende ist der Beifall groß, der Regisseur tritt mit Engelsflügeln vors Publikum und grinst.

Esther Slevogt

Nächste Vorstellungen: Am 7. und 11. 12., ab 20 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte

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