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Betroffenheit macht keine Wissenschaft

■ Hajo Funke und Alexander Rhotert haben eine unausgewogene Darstellung von Konzept und Praxis der „ethnischen Säuberung“ in Exjugoslawien vorgelegt

Hajo Funke, Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut, und Alexander Rhotert, derzeit OSCE-Officer for Democratization in Bosnien, hat die Frage Hiobs umgetrieben: Warum? Warum all das Leid? Warum der Verlust der Nächsten, der Heimat, des gelebten Lebens?

Die beiden Autoren haben diese Frage in den Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit in den letzten Jahren gestellt. Insbesondere Funke hat dabei immer wieder für die Opfer der Kriege in Jugoslawien Partei ergriffen – erinnert sei an seinen Einsatz für die jüdische Hilfsorganisation „Benevolencija“ in Sarajevo. Doch Betroffenheit und Engagement allein machen noch keine Wissenschaft. Gern sehen sich Funke und Rhotert auf der Seite des „Opferkollektivs, nämlich der Muslime“. Doch das Fazit ihrer Forschungen, das die beiden Autoren kurz nach dem Ende des Kosovo-Krieges vorlegten, ist ausgesprochen unbefriedigend. Das Buch beschäftigt sich mit der serbischen Politik und Praxis der „ethnischen Säuberung“ in Bosnien. Die Betonung liegt auf „serbisch“. Diese Einschränkung erweist sich von der ersten Seite an als methodisches (nicht als moralisches) Defizit der Arbeit, vor allem im einführenden historischen Teil.

Denn die Konstruktion des Konzepts der „ethnischen Säuberung“ als einer serbischen, antimuslimischen Erfindung des 19. Jahrhunderts ist historisch schlicht falsch. Die gezielte Vertreibung und Tötung ethnisch oder religiös definierter Bevölkerungsgruppen im Zuge der Nationen- und Nationalstaatsbildung in Südosteuropa ist seit den Balkankriegen 1912/13 gängige Praxis fast aller Regierungen und ihrer Armeen. Dies ist den beiden Autoren entgangen – und in dieser Blickverengung erweist sich ein zentraler Mangel dieser Arbeit.

Funke und Rhotert konnten sich zudem nicht entscheiden, ob sie eine Synthese der Forschungslage oder Mikrostudien der „ethnischen Säuberungen“ in Ostbosnien liefern wollten. Die Folge ist ungebremste Mitteilungswut. So werden seitenlang bekannte und allgemein zugängliche Quellen referiert, zum Beispiel die BBC/ORF-Serie „Bruderkrieg“. Selbst der Teil, der sich mit den furchtbaren Geschehnissen in Srebrenica beschäftigt, bestätigt nur die Erkenntnisse, die der Autor David Rhodes bereits in seinem Buch „Endgame“ ausführlich ausgebreitet hat.

Eine regional vergleichende Arbeit wäre sinnvoll gewesen. Denn den brutalen und fast flächendeckenden Charakter der serbischen Vertreibungspolitik in den 90er-Jahren würde ein komparatives Verfahren, wie Funke und Rhotert immer wieder unterstellen, keineswegs relativieren oder gar entschuldigen. Das Gegenteil wäre der Fall: Die Zeichnung einer genauen Karte aller „ethnischen Säuberungen“ würde sie sogar empirisch deutlicher absichern.

Heiko Hänsel ‚/B‘ Hajo Funke, Alexander Rhotert: „Unter unseren Augen. Ethnische Reinheit: Die Politik des Miloševic-Regimes und die Rolle des Westens“. (Schriftenreihe Politik und Kultur am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin, Band 2), Verlag Das Arabische Buch, Berlin 1999, 376 Seiten, 28 DM

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