Zwischen allen Stühlen

■ Der antifaschistische Kirchenjurist Martin Gauger ist vergessen worden – zu Unrecht. Denn nicht nur sein Engagement war beispielhaft, sondern auch seine theoretische Arbeit

Dieses Buch erinnert an den fast vollständig vergessenen Martin Gauger, Staatsanwalt, Antinazi und Jurist der Bekennenden Kirche, 1905 geboren, 1941 von den Nazis ermordet.

Gauger war einer der wenigen unter den deutschen Juristen und Beamten, die sich 1934 nach dem Röhm-Putsch weigerten, den Eid auf den Führer zu leisten. Er kündigte seine Arbeit als Staatsanwalt auf und schrieb eine, kurz nach Veröffentlichung verbotene Dissertation, die nachwies, dass die Vereinigung der sogenannten Deutschen Christen nach 1933 nicht dem christlichen Bekenntnis entsprach.

Aus der Unvereinbarkeit von Diktatur und Christentum leitet er die Notwendigkeit zum Widerstand sowohl gegen das Müllersche Kirchenregiment als auch gegen den NS-Staat ab. Das war nicht nur folgenlose Theorie. 1935 ergriff Gauger die Gelegenheit, als Jurist der Bekennenden Kirche in Berlin zu arbeiten und zwischen den (weitenteils kooperationsunwilligen) kirchlichen Organisationen einerseits und den NS-Funktionären andererseits so zu vermitteln, dass eine möglichst große Restautonomie der Kirche erhalten blieb. Dies gelingt ihm immer weniger, bis sich 1939 der gemäßigte Flügel der lutherischen Bekenntnisgemeinschaften, der sogenannte Lutherrat, dem NS-Staat unterwirft. Damit verliert er jedes Vertrauen in kirchliche Repräsentanten und sieht sich von beiden Flügeln der Bekennenden Kirche im Stich gelassen. Den Lutheranern gilt er als zu radikal – den Dahlemern um Martin Niemöller ist er nicht radikal genug.

Diese Isolation mag ein Grund sein, warum eine Auseinandersetzung mit Gaugers ebenso klaren wie brisanten Arbeiten zum Beispiel im Calwer Kirchenlexikon von 1937 und später über evangelisch-kirchliche Gesetzgebung, Konsistorialverfassung und über Notwehr, Notstand, Selbsthilfe nach deutschem Recht bis heute fehlt. Der Aufsatz von Hartmut Ludwig im Lutherischen Monatsheft, Heft 9/1995, ist eine kleine Ausnahme.

Wegen der vielen Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen von Materialien versteckt Gauger sich seit 1938, rechnet täglich mit einer Festnahme und plant für diesen Fall Selbstmord, um nicht gezwungen zu werden, andere zu verraten. Gleichwohl flüchtet er nicht und lehnt Angebote aus dem Ausland ab, weil er sein Aufgabenfeld in Deutschland sieht. Hier kann er anderen wie dem Philosophen Wilhelm Weischedel und dem Soziologen Ernst Fraenkel bei der Flucht helfen und zum Teil auch Arbeit im Ausland vermitteln. Erst nach Kriegsbeginn flieht er, wird jedoch in Holland von einmarschierenden Deutschen angeschossen und nach langer Odyssee im KZ Buchenwald inhaftiert.

Wünschenswert wäre, wenn diese primär geschichtlich orientierte Monographie von einem Rechtswissenschaftler ergänzt und vertieft werden könnte. Dann lägen Gaugers konzise vorgetragenen Ideen, die zum Beispiel für Ernst Fraenkels „Doppelstaat“ Pate standen, einmal in Gänze einem Publikum vor, das Juristen dieser Zeit noch weitgehend mit Karl Larenz und Carl Schmitt oder Theologen mit Paul Tillich und Karl Barth identifiziert. Eine solche Arbeit könnte aus der juristischen Sphäre heraus etwa anhand von Gaugers Unterscheidung des Verteidigungs- und Angriffskrieges eine innere plausible Verbindung mit religiösen und kirchengeschichtlichen wie ethischen Fragen aufzeigen. Schließlich war Gauger kein Theologe, sondern ein manchmal politisch argumentierender Jurist. Wilhelm Scharf
‚/B‘ „Die Entscheidung konnte mir niemand abnehmen ...“. Dokumente zu dem evangelischen Kirchenjuristen Martin Gauger. Bearbeitet von Boris Böhm, Heft 5 der Reihe: Lebenszeugnisse – Leidenswege, hrsg. v. N. Haase u. K.-D. Müller, Dresden 1998, 92 Seiten, 7 DM, beziehbar bei der Gedenkstätte Sonnenstein, Tel. (0 35 01) 76 14 48