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Glimmer-Twins, Grummel-Twins

■ Buch der Steine: Heinz Bamberg hat das Phänomen Rolling Stones durchrecherchiert

Es ist durchaus amüsant zu lesen, wie Musikjournalisten die Band schon 1968 für obsolet erklärten

Zum Beispiel Satisfaction. „Dieser Song schuf die Rolling Stones“, sagt Mick Jagger, und natürlich gibt es eine hübsche Anekdote zur Entstehung des Stückes. Gitarrist Keith Richards habe das berühmte Riff in einem Hotelzimmer geträumt, sich gerade lange genug wachhalten können, um es auf Band zu spielen, und sei dann wieder in einen komaähnlichen Zustand verfallen, um weiter zu träumen – wovon, ist nicht überliefert. Eine Stunde Schnarchen habe Richards am nächsten Tag auf dem Tape vorgefunden – und eben Satisfaction.

„Geschichte und Geschichten zur dienstältesten Rockband der Welt“ ist Heinz Bambergs Buch über die Rolling Stones untertitelt, doch es enthält weit mehr als nur kleine Legenden zur Entstehung berühmter Songs. Von den Anfängen zu Beginn der 60er-Jahre, als ein Häuflein pickeliger Jünglinge sich in Londoner Clubs herumdrückte und von einer großen Musikerkarriere träumte, über die wilden und kreativen Spätsechziger, die desolaten Siebziger, die konfliktreichen Achtziger bis in die ruhig-routinierten Neunziger hat der Autor den Weg der Rolling Stones nachgezeichnet. Gestützt auf eine Unmenge Material, getrieben von der kompromisslosen Bewunderung eines Fans, dennoch mit einer gewissen kritischen Distanz, skizziert Heinz Bamberg detailreich die Entwicklung der Band und ihrer einzelnen Mitglieder. Da sind die unverwüstlichen Glimmer-Twins, Richards und Jagger, dazu die Grummel-Twins, Charlie Watts und Bill Wyman, der Neue, Ron Wood, erst seit lumpigen 25 Jahren dabei, und all jene, die im Laufe der vielen aufreibenden Jahre auf der Strecke blieben: die Musiker Brian Jones, Mick Taylor, Ian Stewart, die Manager Andrew Oldham, Allen Klein – und etliche mehr.

Das Buch liefert eine nahezu lückenlose Band-Historie mit Exkursen zur Perfektionierung der Bühnenshow und des florierenden Wirtschaftsunternehmens Rolling Stones, und es zeigt auf, wie der Mythos, der die Band umwabert, entstand und sich entwickelte. Überraschende Enthüllungen oder Interpretationen sind dabei nicht zu erwarten. Die Darstellung folgt im Wesentlichen der traditionellen und „offiziellen“ Stones-Geschichtsschreibung, die Protagonisten werden entsprechend der Rollen porträtiert, die sie von sich selbst für die Öffentlichkeit kreiert haben und emsig pflegen. Mick Jagger, das launische, glamouröse Chamäleon mit dem Hang zu Highsociety und Weiblichkeit, Keith Richards, der „eigenbrötlerische Outlaw“, Ron Wood, die integrative Frohnatur, Watts und Wyman, die braven Stützpfeiler im Hintergrund.

Seit fast vierzig Jahren toben die mehr oder weniger munteren Briten nunmehr über die Bühnen der Welt, und es ist durchaus amüsant zu lesen, wie Musikjournalisten die Band schon 1968 für obsolet erklärten und 1972 rätselten, ob die Musiker in ihrem Alter wohl in der Lage wären, eine ausgedehnte Tournee zu überstehen. Relativ wenig Raum widmet Heinz Bamberg bei all der prallen Faktenfülle der Musik der Rolling Stones. Aber auch das ist in Ordnung bei einer Band, die sich auf diesem Sektor in 35 Jahren keinen Schritt weiter entwickelt hat und gerade daraus ihre Stärke zieht. Für den Stones-Fan stellt das Buch in jedem Fall eine anregende und gedächtnisauffrischende Lektüre dar, für andere Rezipienten liefert es einen guten Grund, mal wieder in den hintersten Winkeln der Plattensammlung zu wühlen. Irgendwo muss doch dieses verdammte Satisfaction zu finden sein.

Matti Lieske

Heinz Bamberg: The Rolling Stones, Musik Mythos Macht. Schott Musik International, Mainz 1999, 448 S., 24,90 DM

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