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Deutschlands deutscheste Presseagentur moduliert

■  Auf dem Weg zum Multimediaunternehmen: Für die Pro7-AG soll ddpADN mit strikt objektiven Nachrichten Geld verdienen

„ddpADN ist die älteste deutsche Nachrichtenagentur.“ Mit dieser kuriosen Feststellung überrascht jedenfalls ddpADN die BesucherInnen seiner Homepage.

Bevor wir uns noch vorstellen können, das Unternehmen sei 1918 aus der Taufe gehoben und mit weiser Lenkung durch die wechselvollen Zeitläufte der nächsten 81 Jahre gesteuert worden, schlüsselt der anschließende Satz lakonisch das ehrwürdige Alter der Agentur auf: „Sie entstand durch einen Zusammenschluss von ddp (Deutscher Depeschendienst), gegründet 1971, und ADN (Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst), gegründet 1946.“ Zusammengerechnet macht das tatsächlich 81 Jahre. Mit einer ähnlichen Volte ließe sich indes auch behaupten, dass ddpADN die deutscheste aller Presseagenturen sei. Schließlich war der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst, von Walter Ulbricht aus der Taufe gehoben, jahrzehntelang Propagandamotor der DDR, hingegen ging der Deutsche Depeschendienst in der BRD als Konkurrenz zum Marktführer dpa (Deutsche Presseagentur) ins Rennen.

Nachrichtengroßhändler und Themenfachgeschäft

Dabei hat der ddp genau genommen überhaupt noch nicht das Licht der Welt erblickt – wenn er auch schon kräftig strampelt: Denn seit sich die Pro7-Media AG die Agentur einverleibt und mit dem ADN fusioniert hat, arbeitet ein auffällig junges Team in Unterföhring bei München an der Reinkarnation des Dienstes.

Zwischen deckenhohen Glasfenstern, vor bunten Bildschirmen, zwischen Zeitschriftenregalen und den gläsernen Parzellen der Ressortleiter werden bisher „lediglich Nullnummern für Testkunden produziert“, sagt Geschäftsführer Lutz Schumacher, „aber pünktlich zum Jahr 2000 wollen wir an den Start gehen.“ Und dann das enorme Gefälle zwischen den beiden zusammengespannten Diensten wettmachen: Im Osten hat sich der ADN einen geschätzten Marktanteil von 95 Prozent erhalten, von „Westmedien“ dagegen wird er kaum in Anspruch genommen. Weil das freilich kaum im Interesse der Stammaktionäre Thomas Kirch und Rewe liegen kann, investierte Pro7 im zurückliegenden Jahr einen „mittleren einstelligen Millionenbetrag“ in den Ausbau von ddpADN.

Der Konzern hat bereits eine veritable Familie aus Nachrichtentöchtern um sich geschart, die seine Mutation vom TV- zum Multimediaunternehmen flankieren: Mit dem digitalen Medium E-Max verfolgt Pro7 dieZielgruppe bis in Diskotheken, Fast-Food-Ketten und Fitness-Studios. Mit dem neuen Nachrichtensender N24, der heute Abend in Hamburg vorgestellt wird, hat der Konzern vor allem „jüngere Männer“ im Visier.

Zweifel sind angezeigt, ob der fötale Nachrichtendienst trotz handfester finanzieller Interessen wird beherzigen können, was in seinen Statuten verankert ist, nämlich „strikte Objektivität“. Drei Jahre Zeit bleiben den Newsmakern, dann müssen sich die Einlagen amortisiert haben. Derzeit schwärmen ddpADN-Mitarbeiter aus, um erst einmal Kunden fürs Konzept zu gewinnen.

Lutz Schumacher will noch keine Einflüsterungen von Seiten des Konzerns gehört haben und stellt resolut fest: „Eine Agentur, die sich tendenzielle Berichterstattung nachweisen ließe, hätte am Markt überhaupt keine Chance. Wer, wann und wo einen Chemieunfall ausgelöst hat, das sind die klassischen Felder, die von uns bedient werden müssen.“ Von „klassischen“ Feldern spricht, wer die Erschließung „neuer“ Geschäftsfelder in einem gesättigten Markt im Auge hat.

Im Unterschied etwa zur dpa – die ihre Abonnenten mit einem konstant dahinfließenden Strom an Nachrichten grundversorgt, aus dem sie nach eigener Gewichtung Relevantes fischen – schnürt ddpADN daher „Pakete“, die von ihren Kunden komplett oder in Teilen verwertet werden können – und tritt damit nicht nur als Nachrichtengroßhändler, sondern auch als Themenfachgeschäft auf. Statt lediglich den Rohstoff zu liefern, setzt der Neuling aus Unterföhring, so Schumacher, „auf eine zeitgemäße Geschäftspolitik und ein Maximum an Flexibilität.“ Kurz gesagt: eine „maßgeschneiderte Produktpalette“ aus fix und fertig verarbeiteten News.

Wildern in journalistischen Jagdgründen erlaubt

„Bei uns ist alles modular“, fasst der Geschäftsführer die Strategie zusammen. Und geht damit Fragen nach, die zu stellen eigentlich den Nachrichtenverwendern zufällt, nicht der Lieferantin, als die sich eine Nachrichtenagentur nach „klassischem“ Verständnis begreift. Fakten, Fakten, Fakten, und immer an die Schreiber denken? „Viele Redaktionen verfügen gar nicht über die 'Manpower‘, jedes Thema gründlich genug anzugehen“, behauptet Schumacher und schwärmt auch schon vom aufklärerischen und kommerziellen Potenzial seiner digital organisierten Inhalte: „Politikverdrossenheit gibt es überhaupt nicht. Es gibt höchstens eine Politikdarstellungsverdrossenheit. Das Internet bietet ja eine schier endlose Palette an Darstellungs- und Selektionsmöglichkeiten.“

Den Einwand, das bewusste Wildern in journalistischen Jagdgründen befördere eine schleichende Verschiebung der Kompetenzen, pariert Schumacher mit krämerischer Nonchalance: „Diese Hilfestellung ist ja nur ein Angebot.“ Und was wäre schließlich vertrauenswürdiger als das Angebot einer Dame, die sich absichtlich älter macht, als sie ist?

Arno Frank

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