: Langzeitantennenkönige
„Verpasst Deutschland das dritte Jahrtausend?“ Ex-Roots-Grüne Ebermann und Trampert im Bremer Schlachthof ■ Von Schorsch Kamerun, Sänger der Goldenen Zitronen
Am Dienstag, dem 7. Dezember, treten Thomas Ebermann und Rainer Trampert im Bremer Schlachthof auf. Es wird dort verstärkt auch um die Frage gehen: Verpasst Deutschland den Weg in das dritte Jahrtausend? Der Abend soll präsentiert werden zwischen Satire und Aufklärung, Sarkasmus und politischer Analyse.
Der äußere Verlauf wird anders ausfallen als das in ihrem Fall eher übliche Aus-einem-Buch-vorlesen oder einen bestimmten abgeschlossenen Vortrag abzuhalten. Zumal – und das hat auf ihrer zurückliegenden kleinen Tour erstaunlicherweise jeden Abend gut geklappt – nach dem sogenannten festen Leseteil offen diskutiert werden kann. Ohne Podium.
Sie fahren so auch bis in kleinste Städtchen, und der Dank ist bei ihnen, für diese Möglichkeit mal das ,gesicherte' Subkultur-Ghetto zu verlassen und sowieso erreichbar zu sein und erreichen zu können. Lebend. Das scheint durchaus mit der Gegensteuerung zu einem der Grundthemen der beiden einherzugehen: Menschen verDing-en! Schönes Beispiel eines ihrer Erklärungsbilder deshalb gleich mal vorn an: Fragt Schmuddeltalkmoderatorin X Schusselgast Y, warum er mit seiner Freundin Schluss gemacht hat. Antwort: „Sie war nicht mehr mein Ding.“
Ebermann und Trampert stellen sich direkt vor die Leute hin und können getrost auf einen künstlichen Kabarettmummenschanzmantel verzichten.
Das Wort allein erschafft die Aufregung in diesem seltenen Fall. Einzig eine kleine Vorgabe/Originalzitat plus Erzähltechnik hilft bei der Einbettung der oft gewünschten, exakten Realitätsaufzeigung von Tötungsbeweisen des Deutschstaats und der Rest-West-First-World. Echte Wirtschaftswochen-Sätze werden zum Beispiel eingewoben in die Erfolgssaga der Schwarzwaldstadt Furtwangen, wo die Fabrikanten gar nicht mehr nachkommen mit dem Hinknallen immer neuer Betriebe, obwohl die zur Region passende Kukucksuhrenindustrie längst Geschichte ist, die Standortbedingungen, die wohl schwierigsten in Deutschland und staatliche Subventionen unerwünscht sind, die Unternehmereinstellung in Selbsteinschätzung als altbacken beschrieben wird und sogar der Turbokapitalismus den düs-teren Waldlandstrich übersehen hat.
In der Aufführung wird das Ganze ohne große Betonungsspitzen gesprochen, ist oft sehr gerade, aber mit ruhigem Nachdruck, teils auch hakig und trotzdem packend, auch in längerer Analysestrecke, weil die kleinen Mosaiksteinchen brillante Bilder puzzeln – und zwar deshalb so beeindruckend präzise, da hier Langzeitantennenkönige unterwegs sind.
Immer schon: alles einsammeln, immer schon: alles aufessen, alles reinhören, mitnehmen. Dann genau zerschichten. Die kleinen und großen Teilchen teilen. Jetzt genau betrachten. So. Den Eulenofen anwärmen. Sackweise rein mit den Viechern, den Unverschämtheiten, den Unglaubwürdigkeiten, den Ungerechtigheiten, den Versteckten, den Leicht- und Vollbetrügern, den Blödbelügern. Niemandem entgeht nichts, wenn jemand es nicht will. Hier wird alles in das Offene gerissen, wenn es erstmal gerechnet ist. Sauber ausgedrückt vom Gehirn.
Man kann sich beruhigt verlassen auf die Aufmerksamkeit dieser Profis. Wenn irgend ein Unterministerberater, egal in welchem Saar-, Pfalz- oder Sonstwobundesland, ein Sätzchen gegeben hat in einem Zeitungsteil und nicht so clever vorgegangen ist diesmal, springt die Mitschneidefunktion auf Betrieb. Kaum jemand fischt so draufschauend souverän in dem Schlammteich der ganzen kleinsten und größten Rädchen, die den Kapitaldrachen mit Geld und Waffen füllen. Stern-Umfragen sind hier genau so nützliche Bilder wie „der Karneval von Cottbus“ gleich nach der Wende, als die lokale Bevölkerung die extra angeheuerte, internationale Lambada-Gruppe durch übertriebenes Polonaiseverhalten ernsthaft in die Flucht schlug.
Es geht aber nicht vordergründig um das Verhöhnen oder ein Sich-Drüberstellen über gern verdrehte Klotztugenden der Miezi und Mausi Deutschland. Das ist zwar eine der legitimsten Möglichkeiten, die aktiven Linken übriggeblieben ist, um überhaupt bei Stimme zu bleiben, nur eigentlich nicht ausreichend aktiv.
Es hat ja noch viel mehr Ebenen: Die taugendste und wertvollste scheint das permanente Hinweisen auf das, was angerichtet wird mit der ganzen Groteske. Hier sagt die Analyse immer genau, wer Gewinner und Verlierer ist im Globaldrehscheibenspiel, wo der Druck steigt, wie absurd das Politikmachen derer ist, die vermeintlich Fäden hin- und herziehen und doch wissen, dass die Entscheidung vorgetrimmt ist von den Schrauben des frechen Weltmarktwirtschaftssystems. Weil nämlich niemand anders als Motorola und Kumpels verfügen, dass die Chinesen in Welthandelsverbände aufgenommen werden.
Thomas Ebermann und Rainer Trampert sind sich treu. Als Alternative. Es wird kein Bedauertropfen fließen bei den beiden Roots-Ex-Grünen. Sie sind nicht in sowas geraten, was dann einmal Machtausübung beziehungsweise Regieren geworden ist. Denn eines ist klar geblieben: Alles, was politisch vorrangig zu machen ist, ist erstmal nicht innerhalb dieser Verhälnisse zu machen, sondern gegen sie. 1984 las sich das in ihrem Buch „Die Zukunft der Grünen“ so: „Wir wollen die Notwendigkeit einer grünen Partei herausarbeiten, einer Partei, die sich nicht in diesen Staat integrieren lässt.“
Heute bittet man auch darum, das „sich wundern“ einzustellen, nur weil eine grüne Mitregierungspartei logisch kriegführend sein muss. Sie ist schließlich auch mitverantwortlich für den weiterhin erfolgreichen Platzierungsrang des drittmächtigsten Imperiums der Erde. Und die Menschen auf dieser Erde sind am besten schnell tot, weil sie zu ungeliebten Lohnnebenkosten geworden sind (auf der erfolgreichen Seite der Kugel) und (auf der anderen, der Loserclownseite) zu hungernden, gefesselten Zuschauern.
Also sowieso schnell tot. Beim Wettbewerb „Bomben für strategische Menschenrechte“ sind Deutschland und Europa den USA dicht auf den Fersen.
Die Erfolgssystemrennziege Kapitalismus verschwindet in seiner Dienstleistung, im Cybergeo oder einfach im Virtuellen. Sterben Philosophien aus? Ist das Selbstreflektieren nicht mehr vonnöten, wenn sich doch alles in praktischer Lösung selbstbefriedigt? Jeder Experte des Praktischen, niemand Erneuerer? Sind wir die letzte Generation vor dem Klonwesenplaneten? Es kann nur Mitmachen oder Draußenbleiben geben. Wer es nicht schafft, ist zu schwach und somit schwere Last und nicht von Nutzwert.
,Arbeiten' heißen die Werke der Künstler. Alles versucht, sich zu drehen, im Bewegungsstrom zu schweben, nicht anzuhalten. Thomas Ebermann und Rainer Trampert haben mir versprochen, am Ende ihres Abends wahrscheinlich einige Lösungen zu verraten. Endlich.
Dienstag, 7. Dezember, 20 Uhr, Schlachthof, Findorffstraße
Schorsch Kamerun ist Sänger der Goldenen Zitronen. Gerade war er mit seinem Electro-Soloprojekt Silvesterboy unterwegs.
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