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Viel Verkehr, wenig Plan

Hamburger Verkehrsentwicklungsplan endlich veröffentlicht und sogleich heftig angefeindet  ■ Von Sven-Michael Veit

Eugen Wagner gibt sich selbstbewusst wie eh und je: „Wir passen auf, dass der Laden läuft“, da gebe es gar nichts dran zu deuteln. Meint Hamburgs ewiger sozialdemokratischer Bau- und Verkehrssenator (seit 1983) über seinen Verkehrsentwicklungsplan für die Hansestadt, den er gestern offiziell veröffentlichte (taz berichtete vorab).

Die Interessengruppen der Stadt hingegen deutelten bereits mächtig, obwohl noch niemand den 182 Seiten starken Plan vollständig gelesen haben konnte: Die Handelskammer sieht den Wirtschaftsverkehr „auf die Stand-spur“ verdrängt, der Regenbogen befürchtet „freie Fahrt für freie Wirtschaft“ und somit das exakte Gegenteil; der Verkehrsclub Deutschland (VCD) vermisst „Prioritäten für den umweltverträglichen Verkehr“, während die CDU-Fraktion eine „Horrorvision an Autofeindlichkeit“ attestiert. Auffallend reserviert äußert sich hingegen der grüne Koalitionspartner: „Der Plan ist eine gute Grundlage für eine öffentliche Diskussion.“

Viel Lärm um wenig. Denn der „Entwurf eines Handlungskonzeptes“, so der wenig vollmundige Untertitel des Papiers, ist weitgehend identisch mit einer ersten Fassung von 1997, die wegen des Einspruchs des damaligen SPD-Kooperationspartners Statt Partei kurz vor der Bürgerschaftswahl wieder in der Schublade verschwand. Der neue Regierungspartner heißt GAL, und die überarbeitete Vorlage enthält nichts Revolutionäres, kaum etwas Neues und noch weniger Innovatives.

In jahrelanger Fleißarbeit haben Wagners Planer diverse und zum Teil widersprüchliche Prognosen über künftiges Verkehrswachstum und Verkehrsverhalten aufgestellt, ein paar Projekte der Deutschen Bahn berücksichtigt und weitere aus dem Bundesverkehrswegeplan abgeschrieben, in den rot-grünen Koalitionsvertrag geguckt und anschließend auf dem Hamburger Stadtplan mit ein paar Strichen in unterschiedlichen Farben neue S- und Stadtbahnlinien, etliche Straßen sowie ein paar Radfahrstreifen aufgemalt (siehe Kasten: Dokumentation des Maßnahmenkatalogs).

Herausgekommen ist eine umfangreiche Bestandsaufnahme der Verkehrssituation in Hamburg und im Umland, eine Beschreibung tatsächlicher und befürchteter Probleme sowie die Skizzierung einiger Lösungsansätze. Diese fußen auf der Grundannahme, dass Wirtschaftsverkehr für Umsatz, Steuern und Arbeitsplätze sorge, zugleich aber möglichst nicht noch mehr Umweltprobleme schaffen solle.

Die einzig wirkliche Neuerung, die der Verkehrsentwicklungsplan vorsieht, ist die Einführung der Stadtbahn. Und selbst dieses moderne, schnelle und ökologisch saubere Nachfolge-Modell der vor 21 Jahren in Hamburg ausrangierten Straßenbahn wird schon seit Jahren diskutiert, das etwa 40 Kilometer lange „ausbaufähige Kernnetz“ besteht aus drei Strecken (siehe Skizze oben), die im Wesentlichen bereits vor fünf Jahren skizziert wurden: Altona - Ring 2 - City Nord - Steilshoop - Bramfeld- Rahlstedt, Niendorf - City - Winterhude - Luftwerft Flughafen, Osdorfer Born - Lurup - Stellingen - Lokstedt - Luftwerft.

Er sei inzwischen fast ein Fan der Stadtbahn, gesteht Wagner, der diesem Nahverkehrsmittel früher „sehr skeptisch“ gegenüberstand. Sie sei eine „sinnvolle Ergänzung“ des Bus- und Schnellbahnnetzes, mit der „etliche Stadtteile, die das nötig haben, angeschlossen werden können“. Und billig sei sie auch noch, die Investitionen lägen nur bei „etwa einem Drittel der Kosten für eine U- oder S-Bahnstrecke“. Mit dem Planfeststellungsverfahren für den ersten Streckenabschnitt im Raum Steilshoop / Barmbek rechnet Wagner im Frühjahr 2001, etwa drei Jahre später könnte wieder eine Straßenbahn in Hamburg aufs Gleis gesetzt werden.

Zuvor aber wird über Wagners Verkehrsentwicklungsplan noch reichlich palavert werden. Bevor Senat und Bürgerschaft ihn irgendwann absegnen werden, wird er den Verkehrsausschuss des Landesparlaments nachhaltig beschäftigen. Dieser plant bereits für Anfang nächsten Jahres mehrere öffentliche Anhörungen und Experten-Hearings über dieses Thema. Dann werden sich all die wieder zu Wort melden, die gestern schon genau wussten, welche Meinung sie haben.

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