: Kein Ecu über die Oder!
Polnisch-deutsche Initiativen werden zu nationalistischen Argumentationen gezwungen, wenn sie von der EU Geld haben wollen ■ Von Christian Semler
Angeblich erfreuen sich grenzüberschreitende, von polnischen und deutschen Bürgern initiierte Projekte des geballten Wohlwollens nicht nur der beteiligten Regierungen, sondern auch der Europäischen Union (EU). Letztere hat für gemeinsame Projekte dieser Art sogar ein Programm aufgelegt: Interreg II, gültig bis 1997. Mit welcher Begründung sollte eine polnisch-deutsche Initiative aufwarten, um bei der EU für ihr Projekt ein paar Peanuts locker zu machen? „Dient der Verständigung“? „Nützt beiden Seiten“? Weit daneben. Erforderlich ist eine strikt nationalistische, ausschließlich das deutsche Interesse berücksichtigende Argumentation, sonst wird der Antrag „zurückgestellt“ oder abgeschmettert.
Die Euroregion „Pro Europa Viadrina“ hatte das Projekt einer gemeinsamen Ausbildungsstätte für polnische und deutsche Jugendliche in Eisenhüttenstadt eingereicht, Der Antrag wurde mit der Begründung verworfen, die polnischen Azubis kämen durchs gemeinsame Hämmern und Feilen in den Besitz einer Qualifikation, die sich künftig „auf den polnischen Arbeitsmarkt“ auswirken werde. Dies aber darf nicht sein, da Polen kein EU-Mitglied ist.
Eine Initiative, die in Frankfurt (Oder) einen gemeinsamen Kindergarten betreiben will, hatte etwas mehr Glück, ihr Antrag wurde nachgebessert und genehmigt. Die jetzige, aufgenötigte Begründung: die deutschen Winzlinge erwerben durch „Kontakt“ mit ihren polnischen Altersgenossen Sprachkenntnisse, die für ihr späteres Fortkommen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nützlich sein könnten. Das „Collegium Polonicum“, eine eng mit der Universität Viadrina in Frankfurt verbundene polnische Institution, ging leer aus, weil sie das Pech hat, auf der anderen Seite der Oder zu liegen. Das auf der polnischen Seite gelegene, gemeinsam von den Städten Gubin und Guben projektierte Klärwerk wird nur deshalb gebaut werden, weil die Landesregierung Brandenburg mit Mitteln einspringt.
Verantwortlich für diese Entscheidungen in wahrhaft europäischem Geist ist ein „Lenkungsausschuß“ des Landes Brandenburg, an dem Vertreter der Regierung und der brandenburgisch-westpolnischen Euroregionen („Pro Viadrina“, „Spree-Neiße-Bober“ und – in Gründung – „Pomerania“) teilnehmen. Brüssel ist durch John Dunn, Vertreter der Generaldirektion Regionalpolitik in der Europäischen Kommission, präsent. Letzterer hat, wiewohl nicht stimmberechtigt, die Förder-Ablehnungsbeschlüsse des Gremiums dirigiert. Seine Begründung: Die Richtlinien für das Programm Interreg II erlaubten nur Zuschüsse für Projekte, die innerhalb der EU lägen und ausschließlich Bürgern der EU zugute kämen.
Diese Argumentation ist sachlich nicht haltbar. Interreg II wurde unter anderem dazu aufgelegt, gemeinsame, die Außengrenzen der EU überschreitende Projekte zu unterstützen: Die „Leitlinien“ sehen in Art. 13 vor, daß die Zusammenarbeit zwischen den EU- Grenzregionen und den „den Grenzgebieten benachbarten Drittländern“ gefördert wird. Der brandenburgisch-polnische Grenzbereich wurde unter die höchste Förderstufe 1 eingereiht.
Noch Anfang Juni hatte der brandenburgische Europaminister Hans Otto Bräutigam den Eindruck erweckt, eben dies geschehe. Die Finanzierung der gemeinsamen Projekte sei, so der Minister, auf deutscher Seite mit Hilfe des Interreg-II-Programms der EU gesichert. Davon war im Lenkungsausschuß nicht mehr die Rede. Jetzt sollen die „gemeinsamen Projekte“ nur noch deutschen Interessen dienen.
Die Euroregionen und die Initiativen, die sie zur Förderung vorschlugen, müssen sich als Opfer einer bürokratischen Täuschung fühlen. Ihnen war von 1992 an bedeutet worden, sich mit der Gründung der Regionen zu beeilen, damit sie, wenn Interreg II aufgelegt werde, sofort durchstarten könnten. So stellte es zum Beispiel Bernd Spiekermann dar, damals bei der Direktion Regionalpolitik in Brüssel, auf einer Konferenz in Frankfurt (Oder) im Juni 1992. Daraufhin wurden, übereilt und ohne angemessene, gleichberechtigte Berücksichtigung der polnischen Partner, die Euroregionen auf die Beine gestellt, wurden schließlich doch vernünftige Projekte beschlossen und – im Vertrauen auf korrekte juristische Beratung – eingereicht.
Und die polnische Seite? Sie hat zur Überbrückung erst einmal Gelder aus einem speziell für die Umwandlung der ostmitteleuropäischen Volkswirtschaften Richtung Markt bereitgestellten Fonds, dem „Phare“-Programm, für den Einsatz an den Grenzen zur EU (in unserem Fall der polnischen Westgrenze) abgezweigt. Polen finanziert mit diesem neuen „Phare/ Cross-Border“-Programm hauptsächlich den Ausbau der Grenzkontrollstellen an der Oder. Die Umwidmung von Mitteln aus dem Phare/Cross-Border-Topf zur gemeinsamen Finanzierung der polnisch-deutschen Projekte würde der polnischen Seite ungerechterweise Mittel entziehen.
Die polnische Regierung kämpft sowieso schon seit geraumer Zeit darum, einen Teil der „Cross-Border“-Mittel an Polens Ostgrenze investieren zu dürfen. Schließlich wird dort in einigen Jahren die Außengrenze der EU verlaufen. Aber auch diese Einsicht scheint sich bei Leuten, die angeblich fürs Vereinigte Europa arbeiten, noch nicht herumgesprochen zu haben.
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