Scharfe Grenze für Luftgift Benzol

■ Erstmals legt die EU Grenzwert für einen krebserregenden Stoff in der Luft fest. Die Benzol-Richtlinie wird verschärft

Berlin (taz) – Wer in Hamburg an der Max-Brauer-Allee wohnt, lebt ungesund. 13,8 Mikrogramm des krebserregenden Benzols wurden hier im Jahresdurchschnitt 1997 pro Kubikmeter Luft gemessen. Menschen, die im Rothaargebirge zu Hause sind, wurden dagegen nur mit 0,6 Mikrogramm konfrontiert. Dieser krasse Unterschied ist kein Wunder: Über 80 Prozent des farblosen Gifts kommt aus den Auspuffrohren der Autos.

Die EU-Kommission will nun auch an hoch belasteten Orten für gesündere Luft sorgen. Zum ersten Mal legt sie einen Grenzwert für einen krebserregenden Stoff in der Luft fest: Höchstens fünf Mikrogramm sollen ab dem Jahr 2010 noch zugelassen sein. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ausgerechnet, dass eine solche Konzentration der giftigen Aromaten bedeutet, dass die Gesellschaft allenfalls 22 bis 37 Leukämiekranke pro eine Million Einwohner für akzeptabel hält. Gegenwärtig rechnet die WHO mit mehr Todesopfern durch Luftverschmutzung als durch Autounfälle.

Allerdings will die EU-Kommission Ausnahmen zulassen. „Wenn die Einhaltung des vorgeschlagenen Grenzwertes nachweislich zu schweren sozioökonomischen Problemen führen würde, kann die Kommission ... eine Verlängerung der Fristen um Zeiträume von bis zu fünf Jahren beschließen.“ Und explizit wird offengelassen, ob danach weitere Verlängerungen möglich sein sollen. Diesen Passus hat das Europaparlament gestern ohne Gegenstimme bei wenigen Enthaltungen abgelehnt. Nun müssen EU-Kommission und Ministerrat über den Änderungsvorschlag beraten; wahrscheinlich wird sich bald ein Vermittlungsausschuss mit dem Thema befassen.

Im Vergleich zur deutschen Rechtslage ist allerdings auch der Kommissionsvorschlag schon ein deutlicher Fortschritt. Vor drei Jahren hatte die alte Bundesregierung mit Unterstützung des SPD-dominierten Bundesrats eine Verwaltungsvorschrift verabschiedet, die deutlich mehr Leukämieopfer für vertretbar hält. Bis Mitte 1998 galt ein Benzolwert von 14 Mikrogramm als akzeptabel; seither liegt er bei acht Mikrogramm. Wird dieser Wert überschritten, müssen die Autofahrer noch keineswegs mit Unannehmlichkeiten rechnen. Die Straßenverkehrsbehörden sind dann lediglich aufgefordert, Maßnahmen zu prüfen und abzuwägen. Außer eine stärkeren Verteilung des Verkehrs haben sie allerdings nicht allzu viele Möglichkeiten. Denn die Liste der Ausnahmen ist lang: Autobahnen sind auch bei dickster Luft für Sperrungen tabu. Wagen mit Kat oder Dieselantrieb dürfen aufgrund von hohen Benzolwerten nicht behindert werden. Für alte Autos gibt es außerdem bei „nachgewiesenem Bedürfnis“ Ausnahmegenehmigungen.

Der gegenwärtig in Brüssel diskutierte Vorschlag verlangt für hoch belastete Ballungsgebiete dagegen künftig detaillierte Aktionspläne, die sowohl der Öffentlichkeit als auch der EU-Kommission bekannt gegeben werden müssen. Vor allem in Südeuropa gibt es viel zu tun, wie eine von der EU-Kommission in Auftrag gegebene Studie belegt. Während in Kopenhagen durchschnittlich 3,1 Mikrogramm Benzol pro Kubikmeter in der Luft liegen, sind es im permanent verstopften Athen 20,7 Mikrogramm. Viele Experten gehen allerdings an bestimmten Kreuzungen von weitaus höheren Werten aus als in dieser Untersuchung.

In Deutschland sind die Benzolwerte in den vergangenen Jahren trotz der laschen Verordnung bereits deutlich gesunken – eine Folge der Einführung des Drei-Wege-Katalysators. Dieser Trend hält nach Prognose des Umweltbundesamtes (Uba) anhalten. Denn vor drei Jahren wurde auf EU-Ebene bereits ein wichtiger Beschluss in puncto Benzol gefasst: Ab dem Jahr 2000 darf Benzin höchstens noch ein Prozent des Giftstoffes enthalten; bisher enthielt Sprit bis zu fünf Prozent der flüchtigen organischen Verbindung. Das Uba geht davon aus, dass die Autos in Deutschland im kommenden Jahr nur noch halb so viel Benzol emittieren wie 1996 und sich die Werte bis 2010 noch einmal halbieren werden. Möglicherweise können selbst die Anwohner der Max-Brauer-Allee in Hamburg in ein paar Jahren durchatmen. Annette Jensen