: Neuer Markt macht Schlagzeilen
■ Experten haben es geahnt: Am Neuen Markt macht sich Verunsicherung breit. Viele, die auf die schnelle Mark hofften, gingen leer aus. Mancher wusste kaum, was der Neue Markt ist, wo seine Stärken und Schwächen liegen
Noch Anfang des Jahres ließen die Börsianer in der Mainmetropole Frankfurt die Sektkorken knallen: Der Neue Markt wurde euphorisch als das Börsensegment für Wachstumsaktien gefeiert. Steil ging es nach oben, die Broker rieben sich die Hände, die Börsenkandidaten konnten Millionen ernten. Im Februar erreichte der Sammelindex des Neuen Marktes (Nemax All Share) seinen Höchststand – doch das war's dann auch. Seitdem geht es mit dem Index bergab. Die Zeiten der großen Gewinne und des stürmischen Wachstums sind vorläufig vorbei. Experten sehen in der jüngsten Entwicklung jedoch kein Signal für eine grundsätzliche Abkehr der Investoren, vielmehr eine Trennung von Spreu und Weizen. „Das ist ein Reifeprozess, den der Neue Markt zur Zeit durchläuft“, meint Helmut Achatz, Börsenexperte beim Deutschen Aktien-Institut.
Notierten Ende 1998 erst 62 Firmen am Neuen Markt, sind es derzeit 164. Angelockt durch den Emissionsboom des vergangenen Jahres, der bis zum Frühjahr 1999 anhielt, drängen immer mehr Unternehmen an die Börse, um sich vermeintlich leichtes Geld zu beschaffen. Genaue Kenntnis über den Neuen Markt ist jetzt wichtiger denn je. „Nur wer durchblickt, kann noch gute Geschäfte machen“, sagt Ernst Scheerer, Analyst bei Kleinwort Benson, einer Tochter der Dresdner Bank.
Der Startschuss für den Neuen Markt fiel vor zwei Jahren an der Frankfurter Börse. Unter Federführung des Börsenvorstandes Reto Francioni wurde das neue Handelssegment für kleine und mittlere Unternehmen mit besonders hohen Wachstumschancen eingerichtet. Der Neue Markt ist so etwas wie die Börse für innovative Betriebe, die Erfolg versprechende Marktchancen haben, denen im Regelfall aber das Eigenkapital für Expansionen fehlt.
Als der Neue Markt am 11. März 1997 eröffnet wurde, hatten sich gerade mal zwei Firmen dazu entschlossen, sich notieren zu lassen. Als Vorbild galt der Deutschen Börsen AG die erfolgreiche US-Wachstumsbörse Nasdaq. Skeptiker meinten damals, Deutschland sei nicht reif für ein solches Marktsegment. Die fehlende Börsenkultur wurde von einigen Zweiflern beklagt, und außerdem sei die deutsche Unternehmerschaft nicht bereit, sich notwendiges Kapital über die Börse zu beschaffen. Das Herumschlagen mit vielen Kleinaktionären auf Hauptversammlungen galt in Bankerkreisen als Argument gegen den Neuen Markt. Von wegen: Die Risikobörse hat sich durchweg für alle Beteiligten gelohnt.
Der Neue Markt ist auch eine Plattform für risikobewusste Anleger. Grundsätzlich sollten hier im Gegensatz zum traditionellen Frankfurter Parkett kleine und mittlere Betriebe mit hervorragenden Wachstumschancen beheimatet sein. Hauptmerkmal dieser Firmen ist die Innovationskraft, die eine ertragreiche Zukunft verspricht. „Die Firmen sollten international ausgerichtet sein und sich zu einer aktiven Investor-Relations-Politik bekennen“, sagt Pierre Drach, Geschäftsführer der Analyse-Firma Independent Research.
Lange hat der Börsenvorstand in Frankfurt getüftelt, bis ein umfangreicher Katalog mit Zugangsvoraussetzungen für die Börsenaspiranten festgelegt war. Dazu zählen ein Mindestemissionsvolumen von 5 Millionen Euro sowie der Aktien-Streubesitz von 20 Prozent. „Wir empfehlen sogar 25 Prozent“, meint Börsenvorstand Reto Francioni. Je höher dieser Anteil, desto höher auch die Liquidität und letztlich die Attraktivität der Aktie, so Börsenkenner. Grundsätzlich gilt für den Neuen Markt: Es dürfen nur Stammaktien, also Aktien mit Stimmrecht, ausgegeben werden. Um die Liquidität des Unternehmens zu sichern, müssen auf jeden Fall zwei so genannte Designated Sponsors – eine Bank tritt als Betreuer auf – für den Handel verpflichtet werden. Der Zulassungsprospekt muss internationalen Standards genügen und – ganz wichtig – Altaktionäre müssen ihre Anteile mindestens über sechs Monate nach dem Börsengang halten. Dieser Passus dient dem Anlegerschutz. Nur so kann verhindert werden, dass sich Alteigentümer zu früh nach dem Börsengang wieder verabschieden und den Kurs ins Schwanken bringen. Die Publikationen der Unternehmen, die an den Neuen Markt wollen, müssen in Englisch und Deutsch verfasst sein. Das Emissionsvolumen soll zu mehr als der Hälfte aus einer Kapitalerhöhung stammen, damit möglichst viele Mittel dem Unternehmen zufließen.
Auch Transparenz ist wichtig am Neuen Markt. So muss der Anteilsbesitz von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern offen gelegt werden. Außerdem sind die Unternehmen verpflichtet, Jahresberichte nach internationalen Regeln (IAS, US-GAAP, GoB) zu erstellen und sie spätestens drei Monate nach Ende des Geschäftsjahres zu veröffentlichen. Zudem müssen die Firmen spätestens zwei Monate nach Quartalsende offiziell abgesegnete Quartalsberichte vorlegen. Die hohen Publizitätspflichten sind für Anleger einer der Grundpfeiler der Neuen-Markt-Idee. „Durch unseren Maßnahmenkatalog haben wir heute bessere Vergleichsmöglichkeiten für die Beurteilung der Unternehmen als noch vor zwei Jahren“, meint Börsenexperte Francioni. Anleger sollten eine genaue Investmentstrategie haben, da zur Zeit ein Überangebot auch Unternehmen an die Börse spült, die dort nichts zu suchen haben. Wichtigstes Kriterium für Investoren: Die Geschäftszahlen müssen stimmen und das Umsatzbarometer sollte steil nach oben zeigen.
Mit der Installation des Neuen Marktes wurde die Börse als Finanzierungsquelle für junge, innovative Unternehmen erschlossen. Zuvor diente das Parkett in Frankfurt vor allem der Eigenmittelbeschaffung etablierter Aktiengesellschaften. Aber nicht nur die Unternehmen profitieren von diesem neuen Marktsegment. Die Anleger haben ein größeres Angebot zur Verfügung, wachstumsträchtige und lukrative Investitionsmöglichkeiten bei einer hohen Liquidität des Marktes konnten so erschlossen werden. „Mit dem Neuen Markt wurde auch eine Möglichkeit geschaffen, mit einem relativ überschaubaren Informationsbedarf an der Börse mitzumischen“, so ein Börsenexperte der Deutschen Bank.
Anders als beim bisher etablierten Börsengeschäft stehen bei Unternehmen am Neuen Markt die Ertragsfaktoren im Vordergrund. Trotzdem zeigen die jüngsten Entwicklungen: Die letzten Misserfolge können den Drang der Unternehmen an den Neuen Markt nicht bremsen. Lange haben sich die Firmen wegen der Publizitätspflicht und der Aktionärskontrolle vor dem Gang an den Kapitalmarkt gescheut. Der Knoten scheint jedenfalls geplatzt zu sein, anders ist der Boom am Neuen Markt für viele Kenner nicht zu erklären. Michael Franken
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