Lesen lernen wird schwergemacht

Neuköllner Initiative, die ausländischen Kindern Nachhilfe gibt, damit sie in der Schule mithalten können, droht wegen fehlendem Geld das Aus / In diesem Jahr nur 6.000 Mark Unterstützung  ■ Von Silke Focken

„Mehr Frust als Lust“ erleben die meisten ausländischen Kinder, wenn sie in Berlin die Schulbank drücken. Jedes dritte beendet seine Schulkarriere ohne Abschluß. Etwa jedes zehnte ausländische Schulkind landet früher oder später auf der Sonderschule, wie aus einer Statistik der Schulverwaltung hervorgeht. Mit ihrem bunten Sprachmix, etwa aus Türkisch und Berlinerisch, haben die ausländischen ABC-Schützen wenig Aussichten auf gute Noten.

Ein Neuköllner Schülerprojekt, das seit fast vier Jahren 250 Vorschulkinder, Grundschüler und Teenies mit Sprach- und Lernschwierigkeiten im Alter zwischen 4 und 14 Jahren in Privatinitiative betreut, strebt Chancengleichheit an, steht jetzt aber vor dem finanziellen Aus. „Wenn es um die Förderung ausländischer Kinder geht, sind die Geldtöpfe leer“, berichtet die Projektleiterin Gisela Klatt von ihrer erfolglosen Rundreise durch die Behörden.

Nachdem staatliche Finanzspritzen in diesem Jahr völlig ausgeblieben sind, haben einige Eltern übergangsweise die Nachhilfe ihrer Kinder per Mitgliedsbeitrag von monatlich knapp 60 Mark bezahlt. „Aber mit den Sommerferien rollte die große Kündigungswelle an. Die meisten ausländischen Eltern haben einfach nicht das Geld“, erklärt Klatt.

Dabei beweist eine wissenschaftliche Dokumentation den Erfolg des Unternehmens: Die Untersuchungsergebnisse zeigen, daß 97 Prozent der wöchentlich zwei Stunden geförderten ausländischen Kinder am Ende der ersten Klasse lesen können. Bei den SchülerInnen ohne Unterstützung sind dies nur 69 Prozent. „Die mangelnde Förderung der ausländischen Kinder schon in der Vorschule bedeutet für viele, daß sie die Schulzeit nur absitzen. Die Patentlösung der überforderten Lehrer ist dann das Abschieben auf die Sonderschule“, bemängelt Klatt.

Gut die Hälfte der Kinder in den Grundschulklassen in Neukölln sei ausländischer Herkunft. Davon spreche bei der Einschulung etwa ein Drittel kein Wort Deutsch. „Die Schulen scheinen auf dieses Problem gar nicht vorbereitet zu sein. Gerade die Erstkläßler verstehen erst mal nur Bahnhof und langweilen sich tödlich“, kritisiert die Erzieherin. Förderunterricht sei häufig gar nicht vorgesehen oder falle wegen des hohen Krankheitsstandes bei den LehrerInnen so gut wie ganz flach. „Bei uns gehen den Kleinen dann der Reihe nach die Kronleuchter auf. Denen Lesen und Schreiben beizubringen, ist wirklich kein Hexenwerk.“

Um den Lehrstoff in den Klassen durchziehen zu können, gehe die Schule heute immer mehr davon aus, daß die Eltern kräftig mitarbeiten, bemängelt Gisela Klatt. Die meisten ausländischen Väter und Mütter seien aber selber des Lebens und Schreibens im Deutschen kaum mächtig. Besonders bei den Übungsdiktaten hätten die ausländischen Kinder ohne Hilfe von zu Hause keine Chance. Aber auch deutsche SchülerInnen seien immer mehr auf private Nachhilfe angewiesen, um das Klassenziel zu erreichen. „Das wird in den Schulen nicht mehr geleistet, die ausländischen Eltern können aber nicht helfen. Da wollen wir eine Lücke schließen.“

Die Notwendigkeit des Neuköllner Förderprojektes, an dem überwiegend türkische Kinder teilnehmen, werde bei den Behörden durchaus erkannt, meint Gisela Klatt. Aber verlorengegangene Anträge und leere Kassen seien die häufigsten Antworten der Ämter auf ihre Bemühungen. Da habe sich ein privater Verein wohl übernommen und bitte nun den Staat zur Kasse, lautete gar der Vorwurf des Neuköllner Bezirksbürgermeisters Hans-Dieter Mey (CDU).

Der einzige Lichtblick sei die Ausländerbeauftragte Barbara John gewesen. Knapp 30.000 Mark hatte diese in den vergangenen Jahren zur Verfügung gestellt, um Organisation und Arbeitsmaterialien bezahlen zu können. Für 1995 konnte sie nur 6.000 Mark lockermachen. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, bedauert Klatt.

„Wir brauchen etwa 115.000 Mark. Davon könnten eine festangestellte Leiterin und Hilfskräfte bezahlt werden.“ Bislang hätten alle BetreuerInnen ehrenamtlich gearbeitet. Sie selber sei mit ihrer Stelle in der Kindertagesstätte und dem Projekt auf bis zu 80 Arbeitsstunden wöchentlich gekommen. „So ging es nicht mehr weiter.“

Nachdem die Dokumentation jetzt endgültig fertig geworden ist, hat Gisela Klatt handfeste Erfolgsbeweise in der Hand und startet zu einem neuen Gang durch die Ämter. „Wenn das nicht klappt, ist das ein Schuß vor den Bug für mich und alle Helfer. Dann ist es um unseren Staat wirklich schwach bestellt.“