: Ibrahim: „Ich wollte nur raus!“
■ Was ein einzelner Somali auf dem Oldenburger Kramermarkt mit einer Horde wild gewordener Skinheads so alles erlebte
Ibrahim* schiebt seine rote Baseball-Kappe zurück und deutet auf einen kleinen, weissen Strich an der rechten Schläfe. Die drei Zentimeter lange Narbe ist sein persönliches Souvenir vom diesjährigen Kramermarkt. Man muss schon genau hingucken, um hinter der Narbe den stark blutenden Riss zu vermuten, mit dem Ibrahim vor zwei Monaten ins Oldenburger Pius-Hospital eingeliefert wurde. „Die Wunde ist schon gut verheilt“, erklärt der 23-jährige Somali lächelnd. Aber dann stockt er und fügt hinzu: „Ohne diesen Polizisten säße ich vielleicht heute nicht hier.“
Wie viele andere Jugendliche aus Oldenburg und umzu, wollte Ibrahim beim großen Herbstspektakel der Region unbedingt dabei sein. „Uns war kalt und deswegen sind wir nach unserer Runde ins Bayernzelt gegangen“, erinnert er sich. Als er mit seinen Freunden an einem Tisch mit Neonazis vorbei ging, sprang ein Skinhead auf und beschimpfte Ibrahims Freundin auf die übelste Weise. „Ich habe ihn angeschrien, was er denn wolle. An seinem Tisch saßen noch sieben, acht Leute, zum Teil ganz normal angezogen. Alle hatten schon ganz gut einen im Karren. Meine Freundin wollte mich wegzerren, aber einer stellte mir ein Bein. Die anderen waren in der Zwischenzeit hinter dem Tisch hervorgekommen. Ein Freund von mir hat sich wagemutig eine Bank geschnappt und denen gesagt, dass sie zurückbleiben sollen.“
Einige Türsteher wollten den Konflikt schlichten. Zu diesem Zeitpunkt waren aber schon Skinheads von anderen Tischen dazu geeilt. Auf 15 bis 16 Leute schätzt Ibrahim den Mob. „Die schrien kräftig ihr „Sieg Heil“ und schon waren die Türsteher verschwunden. Dann sprang einer von den Skins auf mich zu und zog mir einen Bierkrug über den Kopf. Den Schlag habe ich gar nicht mitbekommen. Ich wollte nur raus!“
Einem Zivilpolizisten hat es der Somali zu verdanken, dass seine Freunde und er ins rettende Freie gelangen konnten. „Der zückte seine Marke und schrie denen ,Polizei!' entgegen und zu uns gewandt: ,Macht, dass ihr raus kommt!' Draussen wollte er Sanitäter verständigen. Aber ich habe nur abgewehrt.“ Ibrahim ließ sich von einem Freund ins Hospital fahren. Dort musste die Wunde mit vier Stichen genäht werden. „Die Ärztin wunderte sich noch, dass ich trotz des schweren Schlages nicht umgefallen bin.“
Als Bürgerkriegsflüchtling kam Ibrahim 1989 mit seiner Familie von Somalia nach Deutschland. Die Familie teilte zunächst das Schicksal vieler Asylsuchenden und wurde von einem Flüchtlingslager ins nächste transportiert: Berlin – Hannover – Bremen – schließlich landete die Familie im Ostfriesischen. Seit neuneinhalb Jahren lebt Ibrahim dort und fühlt sich mittlerweile vollständig integriert. „In meinem Dorf gibt es viele Rechtsradikale“, erzählt er beiläufig, so als sei das völlig normal. „Mit denen bin ich immer gut klar gekommen. Mein bester Freund war früher Vorsitzender einer rechtsradikalen Gruppe in Wilhelmshaven. Bei denen hieß es immer: „Ibrahim, wir haben nichts gegen dich, nur was gegen Türken.“
Und die Entwicklungen in der rechten Szene? „Das ist alles ganz schön schlimm geworden“, meint Ibrahim nachdenklich. Trotzdem will er nicht einfach in Gut und Böse unterteilen. „Drei Skinheads waren der einzige Grund, warum die Glatzen nicht sofort auf mich losmarschiert sind. Ich bin vor einigen Monaten mal dazwischen gegangen, als die drei von Kurden in der Innenstadt in die Mangel genommen wurden.“
Im Bayernzelt erkannten die Skins ihn wieder und versuchten ihre Leute zurückzuhalten. Den dazugehörigen Spruch kennt Ibrahim schon aus anderen Konflikten: „Lass den in Ruhe. Das ist Ibrahim.“ oder „Der ist o. k. Mach den nicht an.“
Gegen den Neonazi mit dem Bierkrug hat Ibrahim Anzeige erstattet. „Die Polizei hat mir gesagt, dass sie den Täter haben. Es soll aber zu keiner Gegenüberstellung kommen. Dabei würde ich dem gerne in die Augen schauen.“ Weil die Polizei ihm keine Namen nennen will, hat Ibrahim auf eigene Faust Nachforschungen angestellt. Dass das Treffen der Skinheads im Bayernzelt in Oldenburg angekündigt war, hat er im Internet rausgefunden.
Und wenn er alle Namen hat? Was soll dann passieren? „Ach, in der Zwischenzeit schon gar nichts mehr!“, wehrt Ibrahim ab. „Am Anfang waren Rachegefühle da. Die sind jetzt abgeklungen. Für Schlägereien bin ich einfach nicht der Typ.“
Jens Fliege
* Name von Redaktion geändert
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