: Der Heiland spricht: Du dumme Sau!
Arme Christenheit! Seit gut 1970 Jahren erhofft sie die Wiederkunft des leiblichen Sohnes ihres Herrn, den Anti-Terror-Einheiten dazumal so schändlich ans Kreuz schlagen ließen. Dabei ist Christus doch längst zurückgekehrt: am Abend des 20. November 1971 in die Berliner Deutschlandhalle. Ausgerechnet den bekanntermaßen jenseitigen Film- und Privatpsychopathen Klaus Kinski suchte sich der Messias aus, um seine in Jahrhunderten emsiger Kirchenarbeit gefledderte Botschaft aufs Neue zu verkünden, veränderten Zeitläuften angepasst. „Jesus Christus Erlöser“ hieß das Motto, geplant waren sechs Tourneestationen, nur der Berlin-Gig fand statt. Kinski begann seine Ansprache an die versammelten Spät-68er-Jesus-Jünger mit den deutlichen Worten: „Gesucht wird Jesus Christus, angeklagt wegen Verführung, anarchistischer Tendenzen, Verschwörung gegen die Staatsgewalt. Seine Umgebung sind Gotteslästerer, Zigeuner, Prostituierte, Kriminelle, Revolutionäre, Asoziale ...“ Das war doch mal eine Sozialkritik! Die sich der Ex-Kloputzer jedoch hätte sparen können, denn umgehend legte das bewegte Publikum Einspruch ein: „Ruhe! Arschloch!“ Und bevor Kinski zum ersten von drei Malen die Bühne verließ, entlud sich sein heiliger Zorn über einen fränkischen Freizeitapostel, der schüchtern darauf hinwies, er sei kein großer Redner, Kinski aber auch nicht Christus, denn der „war duldsam und hat nie gesagt: ,Halt deine Schnauze'.“ Kinskis Replik traf den Sünder wie ein Blitz aus düsterem Himmel: „Nein! Er hat nicht gesagt: ,Halt die Schnauze!' Er hat eine Peitsche genommen und hat ihm in die Fresse gehauen! Das hat er gemacht, du dumme Sau!“ Ein solcher Höhepunkt abendländischer Religionskultur gehört in Zeiten allfälliger Islamverunglimpfung endlich auf CD gebrannt, und so liegt er nun vor (Bear Family), zusammen mit weiteren Highlights wie „Scheißgesindel!“, „Dummes Schwein!“, „Schwachsinniger!“, Zuhörer-Selbstentlarvungen („Du streust Hass!“) und Kinskis neutestamentarischer Botschaft selbst. Letztere allerdings hilft uns nicht mehr viel, denn auch der zweite Heiland ist ja längst unerhört von uns gegangen. Arme Christenheit! Michael Sailer
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