Auch Schweizer Banken haben Löcher

Expertengremium über „nachrichtenlose Konten“ von Holocaust-Opfern fordert nach Blick hinter die Kulissen des Schweizer Bankgeheimnisses, Namen mutmaßlicher Kontoinhaber zu veröffentlichen  ■   Von Christian Semler

Berlin (taz) – Die Volcker-Kommission, ein Expertengremium unter Leitung des ehemaligen US-amerikanischen Notenbankpräsidenten Paul A. Volcker, hat gestern ihren Abschlussbericht vorgelegt. Gegenstand ihrer Untersuchung waren die „nachrichtenlosen Konten“ auf Schweizer Banken, die in der Zeit von 1933 bis 1945 von jüdischen Opfern des Nazi-Regimes eingerichtet wurden. Hauptsächliches Ergebnis der Kommission: eine Liste von 25.197 Kontoinhabern, bei denen „eine hohe Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zu einem Opfer“ bestehe.

Die Kommission empfiehlt, diese Namensliste zu veröffentlichen. Hierdurch würde es ehemaligen Kontoinhabern oder ihren Erben leichter, im Rahmen des Vergleichsverfahrens zwischen Schweizer Banken und dem Jüdischen Weltkongress eventuelle Ansprüche geltend zu machen. Die Schweizer Banken hatten sich in diesem Vergleich verpflichtet, 1,25 Milliarden Dollar für die Begleichung von Forderungen ehemaliger jüdischer Kontoinhaber zur Verfügung zu stellen. Bei der ihm Rahmen des Vergleichsverfahrens vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachung wurde von beiden Parteien klargestellt, dass die Auszahlung von Geldern nicht an strenge Beweiserfordernisse gebunden werden sollte. Über sie entscheidet ein internationales Schiedsgericht.

Die Volcker-Kommission hat insgesamt 4,1 Millionen Konton überprüft, was dadurch möglich wurde, dass die Schweiz das eigentlich dauerhaft geltende Bankgeheimnis für die Zwecke der Untersuchung partiell aufhob. Bei 53.886 Konten wurde ein wahrscheinlicher oder möglicher Zusammenhang mit Naziopfern festgestellt. Die 25.197 Kontoinhaber mit „hoher Opferwahrscheinlichkeit“ wurden nach bestimmten Indizien namhaft gemacht. Zu diesen zählt vor allem der damalige Wohnort des Kontoinhabers in einem der Staaten der „Achsenmächte“ bzw. in den von der deutschen Wehrmacht okkupierten Ländern. Diese engere Gruppe umfasst allerdings 22.000 geschlossene und nur 3.000 noch bestehende Konten. Wer die Konten geschlossen hat und ob gegebenenfalls die Schließung unberechtigt erfolgt ist, wäre zu prüfen. Eine solche Prüfung ist heute mangels noch existierender Unterlagen in der Regel unmöglich.

Der Kommissionsbericht nennt lediglich die Namen einiger Banken der Westschweiz, die sich nur eingeschränkt zur Mitarbeit erklärt hatten. Deshalb bleibt es ungeklärt, welche Bankinstitute seinerzeit dem Druck der Nazis nachgegeben, jüdische Konten aufgelöst und die Geldbeträge ans Deutsche Reich überwiesen haben. Die Kommission hat keine Beweise für eine systematische Zerstörung von Kontounterlagen der Opfer, deren „organisierte Diskriminierung“ oder „konzertierte Versuche der unrechtmäßigen Verwendung von Vermögenswerten“ gefunden. Die Einschränkung „konzertiert“ und „systematisch“ scheinen bekannt gewordene Versuche der Aktenvernichtung auch aus jüngster Zeit als Einzelfälle anzusehen.

Allerdings geißelt der Kommissionsbericht „einzelne Banken“. „Es gibt bestätigte Anzeichen für eine fragwürdige und unlautere Vorgehensweise bei der Behandlung der Konten von Opfern, unter anderem die Vorenthaltung kontorelevanter Informationen gegenüber Holocaust-Opfern.“ Aus heutiger Sicht sei dies „allzu oft mit einem groben Ignorieren der besonderen Situation des Holocaust und teilweise mit vorsätzlicher Täuschung und ungerechten Ergebnissen“ verbunden gewesen.

Dieses Urteil bietet allerdings für die Schweizer Großbanken nichts Neues. Im Gespräch mit der taz erklärte ein Sprecher der Credit Suisse, die früheren, auch von der Schweizer Aufsichtsbehörde verfügten Nachprüfungen seien in der Tat nachlässig und lückenhaft geführt worden. Die jetzigen Ergebnise der Volcker-Kommission bestätigten nur diesen mittlerweile auch von den Banken eingeräumten Sachverhalt.

Für Konten, die zur Nazizeit in der Schweiz treuhänderisch für verfolgte NS-Opfer angelegt wurden, konnte die Volcker-Kommission keine Aussagen treffen. Diesen Komplex aufzuklären, ist Aufgabe der Bergier-Kommission, die über die Möglichkeit umfassender Akteneinsicht auch bei Schweizer Behörden verfügt. Es existiert bereits eine Liste damaliger Anwälte, die in solchen Geschäften tätig waren, womit allerdings die Kontoeinrichtung durch Verwandte oder Freunde nicht abgedeckt ist. Der Sprecher von Credit Suisse schloss sich der Auffassung der Kommission an, dass Forderungen ehemaliger jüdischer Kontoinhaber oder deren Erben ohne Schwierigkeiten aus dem Bankenfonds von 1,25 Milliarden US-Dollar beglichen werden könnten.