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341,2: Wald- und Jagdangelegenheiten  ■   Von Eugen Egner

Nachdem seine Frau mit ihrem Husten groß rausgekommen war und ihn im Verfolg ihrer Karriere verlassen hatte, saß 341,2 allein in der viel zu kleinen, schlechten Wohnung. Die Miete vermochte er natürlich nicht aufzubringen – wie auch, wo er doch überhaupt nichts konnte? Ganztägig kauerte er mit vors Gesicht gepressten Händen hinter dem Fernsehsessel am Boden und versuchte, gar nicht zu existieren. Doch nicht einmal das gelang ihm. Was tun? Von der Frau, die draußen in der Welt Triumphe mit ihrem Husten feierte, durfte er keine Unterstützung erwarten. Schon nach wenigen Wochen hatte sie jede Erinnerung an ihn ausgehustet. Große Angst, viel zu groß für die kleine Wohnung, trieb ihn für immer aus dem Haus.

„Auch ich muss draußen in der Welt meine Bestimmung finden“, sagte er sich.

Seine Haare sahen so beschissen aus, dass ihm die Polizisten auf der Straße nachpfiffen. Sie waren neugierig, wie wohl sein Passfoto aussah, und nahmen ihn in Gewahrsam. Zudem wollten sie erkennungsdienstlich feststellen, wie einer, der solche Haare hatte, heißen mochte. Die Ausweiskontrolle verlief jedoch unbefriedigend, denn 341,2 schaffte es nicht, seinen Ausweis richtig vorzuzeigen. Stattdessen hörte er ein lautes Brummen und schrie instinktiv: „Die Schadinsekten kommen!“

Im nächsten Augenblick drangen Insekten aus dem Weltall in die Köpfe der Polizisten ein, zerfraßen rücksichtslos auch alle seine Personalpapiere. Von Panik ergriffen floh 341,2 aus der Stadt, deren Weichbild angefressen und beschädigt hinter ihm zurückblieb.

Mit ganz und gar misslungenem, ja schon unverschämt falschem Faltenwurf stand er bald darauf hilflos in ländlicher Gegend. Teigig-absurde Schnörkel und Zickzackhaufen quollen ihm aus den Armbeugen. Aus düsteren Wolken fuhren, verworrenen Zollstöcken ähnlich, gelbe Blitze.

Rechts ging es zum Bestimmungsort, links in den Wald. Automatisch lief 341,2 nach links. Lauschend und spähend drückte er sich stundenlang mit aufgespanntem Regenschirm im Unterholz herum. Er dachte vergeblich darüber nach, ob seine eigenen atomaren Teilchen wohl in Wechselwirkung mit denen des Waldes standen. Es entstand nur ein lautes Brummen in seinem Schädel.

Gegen elf sank er entkräftet ins Ferkelkraut nieder. Da blieb er liegen wie im Gasrausch, bis ihn Gadrobe, das Jagdmündel des Oberförsters, fand. Einst war sie bei einer Hirschjagd vom Himmel gefallen. Daher glaubte sie, 341,2 sei es ebenso ergangen. Sie zog ihn an einem Bein hinter sich her bis ins Jagdschloss. Dort lag er eine ganze Weile herum wie ein alter Lappen. Beim Erwachen war 341,2 überzeugt, Außerirdische hätten ihn entführt und Experimente mit seiner Frisur durchgeführt.

Dem Oberförster aber waren die echten Hirsche ausgegangen. Zu 341,2, den er bald vertraulich beiseite nahm, sprach er flehentlich: „Wenn er mir künstliche Hirsche für die Jagd machen kann, will ich ihm mein Jagdmündel, mein töricht Jagdmündelkind, zum Weibe geben.“

341,2 konnte es natürlich nicht. Aus dem von ihm willkürlich zusammengeworfenen Zeug wurden und wurden keine synthetischen Hirsche. Doch fortan hatte er auf der linken Kopfhälfte völlig andere Haare als auf der rechten.

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