piwik no script img

In Fußballland

■ Christoph Biermann

Seit geraumer Zeit schon beschäftigt mich eine kleine Szene, die ich im Anschluss an ein Bundesligaspiel erlebt habe und deren Bedeutung sich mir seitdem immer noch nicht ganz erschlossen hat. Noch bevor an jenem Tag die Trainer der beiden Mannschaften zur Pressekonferenz erschienen, betrat der Manager des siegreichen Teams den Raum. Sofort bildete sich eine kleine Traube von Journalisten um den Mann, dessen Name hier nicht genannt sein soll, weil dieser Vorfall gänzlich unanekdotisch, also sozusagen strukturell betrachtet werden soll und ich ansonsten durch den kurzen Blick auf die abgründige Seite dieses an sich sehr sympathischen Zeitgenossen keine Charakterdiskussion über ihn eröffnen möchte.

 Er genierte sich. Die Meute witterte Blut. Dann kam das schreckliche Wort.

Dieser Manager also begann nun, immer noch vom gerade frisch errungenen Sieg unter Dampf stehend, voller Kraft darüber zu sprechen, dass die vorangegangene Phase von Misserfolgen doch insgesamt nicht so stark negativ zu bewerten gewesen wäre, wie das die veröffentlichte Meinung getan hätte. Die Perspektive seines Klubs wäre schließlich weitergehend und dazu hätte er schon in der abgelaufenen Woche etwas gesagt und wolle es nun nicht noch einmal wiederholen. Wie, was? Moment mal! Das wollten wir jetzt schon hören. Schließlich verbringen nicht alle Berichterstatter ihre Woche mit diesem Klub und seinem Manager. Und so forderten die Umstehenden auch, er müsse es wohl noch einmal wiederholen. Und erst recht, als wir merkten, dass der Manager sich etwas zu genieren begann. Da witterte die Meute Blut. Versuchte der Mann nicht gerade das entscheidende Zitat, die Headline für unsere Artikel zu verbergen? Also sagte der Anführer unserer kleinen Rotte, der hoch angesehene Redakteur einer großen Tageszeitung ist: „Mensch, komm, jetzt musst du es noch mal sagen.“ Da konnte der Manager sich nicht mehr entwinden, doch vorher drehte er sich noch einmal nach rechts und einmal nach links, als wolle er verhindern, dass jemand zuhört, was natürlich Unsinn war mit dem Dutzend Männern mit Notizblöcken und Aufnahmegeräten in der Hand, die um ihn herum standen, und dann sagte er: „Wir sind doch keine Tagesficker.“

Ich muss zugeben, dass ich in dem Moment mitgelacht habe, hoffentlich aber nicht dieses kehlig männliche und einvernehmliche Uaah-Ha, das unsere kleine Meute hören ließ. Dabei gedacht habe ich aber: „Um Gottes Willen, was verdammt noch mal ist das denn schon wieder?“ Was ist denn ein Tagesficker? Im Unterschied zum Wochen-, Monats- oder Jahresficker und am Ende wahrscheinlich sogar Millenniumsficker?

Schon klar, dass der Manager zum Ausdruck bringen wollte, in seinem Klub würde über den Tag hinaus gedacht und gehandelt, wobei sie sich nicht durch jede Irritation vom Wege abbringen ließen. Aber was bitte schön hat das mit Geschlechtsverkehr zu tun? Oder ist Ficker immer noch ein funktionierendes Starkwort, mit dem sich zumindest momentweise funktionierende Männerwelten herstellen lassen?

Dies beschäftigt mich seitdem, und so sann ich auch darüber nach, als ich auf der weißen Plastikliege eines städtischen Hallenbads lag, dessen Wandmosaik an DDR-Ornamentik der 60er-Jahre erinnert, während eine unglaublich zarte junge Frau in einem Badeanzug mit Leopardenmuster zwar zunächst erbarmungswürdig bibbernd ins Schwimmbecken stieg, dann aber beeindruckend kräftig und zugleich so elegant ihre Bahnen zog, dass sich die Frage stellte, ob sie, wäre sie allein im Becken, überhaupt eine Kräuselung an der Wasseroberfläche hervorrufen würde und warum eigentlich in öffentlichen Bädern sowohl stets mehr Frauen als Männer sind und diese auch noch viel schöner schwimmen. Ich will damit nicht sagen, dass mir dies hier als heile Welt erschien und damit als Gegenmodell zu den Männermeuten da draußen, die in komischen Momenten ihr Uaah-Ha anstimmen, aber ich hätte gerne gewusst, ob die Schwimmerin ahnte, dass sich die Welt in Tagesficker und Nicht-Tagesficker teilt. Und, was bin ich eigentlich für einer?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen