: Steuerflucht nur schwer zu stoppen
EU-Länder kämpfen hinter den Kulissen um eine Einigung auf dem Gipfel in Helsinki. Großbritannien und Luxemburg sperren sich ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner
Beim Thema Geld hört auch für leidenschaftliche Europäer die Freundschaft auf. In Steuerfragen muss der Ministerrat einstimmig entscheiden. Weil sich aber immer mindestens einer findet, der Nachteile für sein Land befürchtet, wird die dringend nötige Steuerangleichung seit Jahren verschleppt – schließlich profitiert das Bankengeschäft der Niedrigsteuerländer.
In der vergangenen Nacht unternahmen die Finanzminister der 15 einen letzten Versuch, die einheitliche Besteuerung von Zinsen so zu regeln, dass alle zustimmen können. Kaum lag aber ein Vorschlag auf dem Tisch, der britische Sorgen berücksichtigte, schrien die Luxemburger Alarm. Sie hatten sich bislang im Vertrauen darauf, dass die Briten die undankbare Neinsagerrolle übernehmen würden, kompromissbereit zeigen können.
Eigentlich haben sich die 15 EU-Länder schon beim Luxemburger Gipfel 1997 darüber verständigt, dass einheitliche Steuern die Voraussetzung dafür sind, Kapitalflucht einzudämmen und den Faktor Arbeit im Vergleich zum Faktor Geld billiger zu machen. Um welche Größenordnung es geht, zeigt eine Schätzung der deutschen Steuergewerkschaft: Etwa 800 Milliarden Mark aus deutschen Sparstrümpfen liegen im Ausland, vor allem in Luxemburg. Nur ein Drittel davon wird in Deutschland versteuert – das bedeutet einen Steuerausfall von 14 Milliarden Mark im Jahr oder den Gegenwert von einem Mehrwertsteuerpunkt.
Nach den Vorstellungen der EU-Kommission soll künftig eine einheitliche Zinsertragssteuer von 20 Prozent erhoben werden. Länder, die sich daran nicht beteiligen, sollen verpflichtet werden, die Zinserträge ans heimische Finanzamt des Anlegers zu melden. Luxemburg will aber höchstens zehn Prozent Quellensteuer akzeptieren. Großbritannien will sich nicht einmal auf die Ministeuer einlassen. Die Briten fürchten Umsatzeinbußen beim Geschäft mit Eurobonds. Bei diesen Anleihen ist London der Haupthandelsplatz. Für ausländische Anleger sind die Erträge bislang steuerfrei.
Ein Kompromissangebot der Kommission sieht vor, dass sich daran nichts ändern soll. Die Briten sollen lediglich den Namen des Anlegers ans heimische Finanzamt melden, ohne die Höhe der Einlage anzugeben. Doch der britische Finanzminister behauptet, dieses Verfahren sei arbeitsaufwendig, also teuer, und damit schädlich für den Finanzplatz London. Außerdem laufe ohnehin jede europäische Regelung ins Leere, solange die Kanalinseln Jersey und Guernsey ihren Sonderstatus behalten. Sie gehören währungspolitisch zu Großbritannien, aber nicht zur EU. Hier könnten ebenso wie in der Schweiz, Monaco und Liechtenstein neue Steuerschlupflöcher entstehen.
Der Kompromiss, den die Briten vorgeschlagen haben, passt zum Weltbild von New Labour: Kleinanleger bis zu 40.000 Euro sollen in Zukunft Quellensteuer bezahlen. Großanleger sollen einen Freibrief bekommen. Darauf werden sich die anderen EU-Staaten nicht einlassen.
Am Ende wird dem hehren Ziel, mehr Steuergerechtigkeit in Europa zu erreichen, vielleicht das gleiche Schicksal beschieden sein wie der Euro-Ökosteuer. Sieben verflixte Jahre stritten die Mitgliedsstaaten um Mindestsätze für Kohlendioxid-Ausstoß und Energieverbrauch. Doch selbst in einer abgeschwächten Form scheiterte die Ökosteuer im Februar dieses Jahres an einer großen Koalition aus Konservativen und New Labour im Europaparlament.
Damit ist auch der Ansatz vom Tisch, auf den sich die Regierungschefs längst einstimmig geeinigt hatten: europaweit Energie teurer und Arbeit billiger zu machen. Umweltschützer und Experten fragen nun, wie Europa seine Führungsrolle im Klimaschutz überzeugend spielen will, wenn es nicht einmal gelingt, eine Mini-Ökosteuer durchzusetzen. Solange Steuerfragen im Ministerrat einstimmig entschieden werden, wird sich immer einer finden, der positive Ansätze durch sein Veto blockiert. Ohne Reform der Entscheidungsprozesse im Ministerrat hin zu qualifizierter Mehrheit wird die Steuerpolitik keinen Schritt vorankommen.
Solange will EU-Kommissar Mario Monti allerdings nicht warten. Das Scheitern seiner Ökosteuer-Direktive wurmt ihn noch immer. Im neuen Ressort, als Nachfolger von Wettbewerbskommissar Karel van Miert, hat er nun andere Möglichkeiten, seinen Ideen zum Durchbruch zu verhelfen. Sollten sich die Regierungschefs weiter weigern, ihre Steuern anzugleichen, wird er in jedem Einzelfall prüfen, ob nicht vielleicht Wettbewerbsverzerrung durch Steuerbegünstigung vorliegt. Ein Scheitern in Helsinki könnte also ein Nachspiel in Brüssel haben.
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