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Tafelblech in der Versorgungskrise

Wachsende Pensionsansprüche von BeamtInnen bedrohen Hamburgs Haushalt. Finanzbehörde weiß keinen Ausweg, rot-grüne Fraktionen fordern strategische Debatte  ■ Von Sven-Michael Veit

Katrin H. (53) ist eine Bedrohung für die Gesellschaft. Denn sie ist Lehrerin, stellvertretende Leiterin einer Hamburger Grund- und Hauptschule sogar. In zehn Jahren will sie in den – wie sie sagt: wohlverdienten – Ruhestand gehen. Dann hat Katrin H. 35 Berufsjahre hinter sich und will „das Leben noch etwas genießen“. Mit einer stattlichen Pension.

Die steht Katrin H. unzweifelhaft zu. Ebenso wie einigen tausend weiteren BeamtInnen der Freien und Hansestadt Hamburg, die innerhalb des kommenden Jahrzehnts aus dem Berufsleben ausscheiden werden. Verantwortlich dafür sind die Einstellungswellen der 60er und 70er Jahre. Sie führten zum öffentlich seit langem gern geschmähten „aufgeblähten Beamtenapparat“ und zur vor allem in jüngster Zeit häufig beklagten „Vergreisung der Lehrkörper“. Denn von den gegenwärtig 16.448 BeamtInnen allein des höheren Dienstes sind 13.295 LehrerInnen.

Aus diesen Einstellungswellen wird in der unmittelbaren Zukunft eine Pensionierungswoge von noch nie dagewesener Höhe. Exakt 24.640 pensionierte BeamtInnen weist der Finanzbericht 2000 der Hamburger Finanzbehörde zur Zeit aus; im Jahre 2010 sollen es 31.825 sein. Eine Zahl, die bereits um die „durchschnittliche Sterblichkeitsrate bereinigt“ wurde. Wie die Ruhestandsgelder für diese ehemaligen Staatsbediensteten bezahlt werden sollen, weiß niemand unter Hamburgs PolitikerInnen. Denn Bund, Länder und Gemeinden – und eben auch Hamburg – haben seit Bestehen der Bundesrepublik die Beamtenversorgung immer aus dem laufenden Haushalt finanziert; Pensionsfonds oder Rückstellungen wurden nie gebildet. Eine Unterlassungssünde, die nun teuer zu stehen kommen wird.

Nach ersten Prognosen wird die Hansestadt im Jahr 2010 deutlich mehr als zwei Milliarden Mark nur für Versorgungsleistungen an pensionierte BeamtInnen oder deren Hinterbliebene zahlen müssen (siehe Grafik) – fast doppelt soviel wie im laufenden Jahr. Zur Zeit liegt der Anteil der Pensionsleistungen bei etwa sieben Prozent des Hamburger Haushaltes; in zehn Jahren dürfte er auf über zwölf Prozent angeschwollen sein.

Je nach Höhe der künftigen Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst kann sich diese Summe noch deutlich erhöhen. „Bei durchschnittlichen Erhöhungen um fünf Prozent droht sogar die Drei-Milliarden-Grenze“, befürchtet eine Abgeordnete der rot-grünen Koalitionsfraktionen im Rathaus. Für Altersversorgung, laufende Personalkosten und Kreditzinsen wird die Stadt dann, je nach Schätzung, von jeder eingenommenen Mark 52 bis 57 Pfennige ausgeben müssen. „Wo“, fragt sich da die Volksvertreterin, „bleibt da noch Geld übrig, um Politik zu gestalten?“

Einen ersten Versuch, diesen „drohenden Würgegriff“ zu lo-ckern, wie es eine Sozialdemokratin nennt, wollen die rot-grünen Regierungsfraktionen bei den Beratungen des Haushaltes 2000 Anfang nächster Woche in der Bürgerschaft unternehmen. Sie haben mehrere Anträge vorgelegt – und gedenken, diese mit ihrer parlamentarischen Mehrheit auch zu verabschieden –, die vor allem unter den Sozialdemokraten im Senat nicht nur Freunde haben.

Für Verstimmung in der Behörde der Finanzsenatorin Ingrid Nümann-Seidewinkel sorgte bereits im Vorfeld der rot-grüne Plan, Rücklagen für künftige Pensionszahlungen durch die Anlage eines Versorgungsfonds zu bilden. Damit soll, sagt SPD-Fraktionsvize Walter Zuckerer, „eine strategische Debatte“ zur Lösung des Problems eröffnet werden.

Durch die am 4. Oktober beschlossene Wiedereinführung der Verbeamtung von LehrerInnen kommt es zu Minderausgaben bei den Sozialversicherungsbeiträgen. Dadurch werden kurzfristig etwa 9,6 Millionen Mark jährlich frei. Diese sollen aber nicht dem Rotstift der Finanzsenatorin zum Opfer fallen, deren Priorität es ist und bleibt, den Betriebshaushalt der Hansestadt bis zum Wahljahr 2001 auf Plusminusnull zu bringen. „Zuerst kommt die Pflicht“, so Nümann-Seidewinkel noch vor drei Wochen, „die Kür folgt danach“. Inzwischen steht die Finanzsenatorin dem Versorgungsfonds „konstruktiv“ gegenüber. Das sei „ein Sonderpunkt“, begründet ihre Sprecherin Renate Mitterhuber, „den machen wir mit“. Ausnahme müsse aber Ausnahme bleiben.

In einer Senatsmitteilung an die Bürgerschaft vom August musste die Finanzbehörde zugeben, dass ihr noch kein Ausweg eingefallen ist. Die „Anhebung der Antragsaltersgrenze vom 62. auf das 63 Lebensjahr“ würde die Pensionsjahre entsprechend verkürzen, heißt es in der Drucksache 16/2917, auch die Einführung der „Teildienstfähigkeit“ sei geeignet, „zur Reduzierung der Versorgungskosten beizutragen“. Damit ist die Verlängerung der aktiven Dienstzeit auf Teilzeitstellen über die Pensionsgrenze hinaus gemeint. Unterm Strich jedoch steht Ernüchterndes: Es sei zwar „wirtschaftlich sachgerecht“, Vorsorge für künftige Pensionslas-ten zu treffen, aber „finanzpolitisch zur Zeit nicht verkraftbar“.

Zuckerer wie auch die grüne Haushaltsexpertin Anja Hajduk bestehen dennoch auf der Einrichtung dieses Fonds. Zugleich räumen sie ein, dass er „nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist“. Innerhalb von zehn Jahren könnte die Versorgungsrücklage rein rechnerisch auf 100 Millionen Mark plus Zinsen anwachsen – bei jährlichen Pensionszahlungen von weit über zwei Milliarden Mark kaum mehr als ein Signal guten Willens. „Spitzen kappen“, nennt das Zuckerer; Haj-duk glaubt, dies sei für die Maßnahmen, die dann folgen müssten, „immerhin ein Türöffner“.

Und doch graust es nicht nur diese beiden bei dem Gedanken an das, was hinter dieser Tür noch alles zum Vorschein zu kommen droht. Denn Hamburg ist für viele mittelbar städtische Firmen und in jüngster Zeit verselbständigte Unternehmen Versorgungsverpflichtungen eingegangen. Darunter fallen zum Beispiel die Hamburger Lagerhaus Aktiengesellschaft HHLA oder die Hochbahn, die Stadtentwässerung möglicherweise ebenso wie der Landesbetrieb Krankenhäuser. Dort entstandene und noch entstehende Ruhegeldansprüche sind in den bisherigen Schätzungen aber noch gar nicht enthalten. Einige dieser Unternehmen, zum Beispiel die HHLA, haben zwar Rückstellungsfonds gebildet, deren genaue Höhe ist aber ebenfalls unbekannt.

Welche Summen da noch auf die öffentliche Hand zukommen könnten, wagt niemand auch nur zu schätzen. Deshalb verlangen SPD und GAL nun vom Senat bis zum Sommer einen erstmaligen Bericht über die Höhe dieser Versorgungsansprüche. „Eigentlich aber“, sagt ein Abgeordneter, „habe ich Angst davor, das wirklich zu erfahren.“

Zumal weiteres Ungemach droht. Der Verkauf städtischer Unternehmen, der zum Ausgleich des Landeshaushaltes auch künftig vorgesehen ist, könnte in einigen Fällen vereitelt werden. Wenn bei einer vom Senat feilgebotenen Firma die Pensionsansprüche höher sind als die gebildeten Rückstellungen, dürften unternehmerisch denkende Käufer nicht gerade Schlange stehen.

Bei so manchem Stückchen vermeintlichen Tafelsilbers, befürchten einige im Rathaus, könnte sich bei genauerem Hinsehen heraustellen, dass es in Wahrheit aus Blech ist.

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