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In einer fremden Stadt

■  Maxim und die jüdischen Frauen: Elena Lappin erzählt in „Fremde Bräute“ von der Einsamkeit am anderen Ende der Welt

Auf dem Weg nach Hause kommt Noa an Joe McElliots Fleischerladen vorbei. Sie denkt an den geschwätzigen und unverschämten jüdischen Schlachter, bei dem sie sonst einkauft, und trifft eine Entscheidung. Kein koscheres Fleisch mehr. Ihrem Mann wird sie es nicht sagen, überlegt sich Noa, und so begeht er auch keine Sünde: „Ich schon, aber scheiß drauf.“ Sie fängt dann auch gleich ein Verhältnis mit Joe McElliot an, und einen Moment lang ist alles in Ordnung. Noa, die aus Tel Aviv ins traurige Londoner East End gezogen ist, richtet sich in ihrem neuen Leben ein.

In Elena Lappins Erzählband „Fremde Bräute“ geht es um Frauen, die sich plötzlich irgendwo am anderen Ende der Welt wiederfinden. In einer fremden Stadt, in einer fremden Wohnung, bei einem mehr oder weniger fremden Mann. Die meisten dieser Frauen sind Jüdinnen, nur Monika, eine Hamburger Buchhändlerin, muss es noch werden. Sie hat sich in einen jüdischen Schriftsteller verliebt und nimmt jetzt Hebräischstunden. Der Schriftsteller heißt Max: ein „arroganter, zynischer Intellektueller“, der böse Zeitungsartikel schreibt. Es ist nicht besonders schwer, sich Max als Maxim Biller vorzustellen, und was im Klappentext nicht steht: Die Londoner Schriftstellerin Elena Lappin, geboren 1954 in Moskau, aufgewachsen in Prag und Hamburg, ist die ältere Schwester von Maxim Biller. So richtig scheint sie ihn nicht zu mögen.

Maxim Biller hatte einst in seinen Tempo-Kolumnen kräftig gegen Juden und Nichtjuden, Antisemiten und Philosomiten getreten. Damals, in den Achtzigern, begriff man das deutsch-jüdische Verhältnis vor allem als neurotischen Zusammenhang, und Maxim Biller war das schlechte Gewissen des schlechten Gewissens. Heute, am Ende der Neunzigerjahre, hat man die Neurose hinter sich gelassen. Man hält sich an die Folklore, redet lieber über Klezmer als über die Shoah und erfreut sich, einen Bagel kauend, an der schön restaurierten Fassade der Synagoge in Berlin-Mitte. Schuldgefühle bringen's nicht mehr.

Maxim Billers Hasstiraden würden an diesem neuen deutsch-jüdischen Lebensgefühl vermutlich einfach abprallen. Es ist ja auch still geworden um ihn. Die knappen Erzählungen seiner Schwester Elena Lappin passen dagegen auf den ersten Blick sehr gut in unsere Zeit. Sie erzählen von einer Generation von Juden, die aus dem Schatten des Holocaust herausgetreten ist und die ganz normale, lustige und oft auch weniger lustige Geschichten erlebt. Und wenn sich Noa und die anderen Frauen in New York, London oder Hamburg unbehaust vorkommen, dann nicht, weil sie wie ihre Eltern und Großeltern von Mördern aus ihren Heimatländern vertrieben worden sind – sondern weil sie immer wieder aufbrechen, aber nie irgendwo ankommen. Es geht in Elena Lappins Geschichten darum, dass Freiheit und Einsamkeit nahe beieinander liegen. Auf den zweiten Blick passt auch das in die Zeit. Tut nur weh. Man sollte dieses Buch nicht den Folkloristen überlassen.

PS: Früher war alles einfacher. In den Achtzigern hätte man in einer Literaturkritik einfach behauptet, dass eine Jüdin und Emigrantin besonders gut dazu geeignet sei, über Freiheit, Schmerz und Einsamkeit zu schreiben. Damit wäre man durchgekommen. Und Maxim Biller hätte einen dafür gehasst. Kolja Mensing

Elena Lappin: „Fremde Bräute“. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 208 Seiten, 34 DM

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