: Unsichtbares Selbst
Lamsweerde, Zittel, Darboven: drei zeitgenössische Künstlerinnen in den Deichtorhallen ■ Von Ulrike Bals
Ein Schleier aus langem weißen Haar breitet sich über das Kissen. Das schwarze Gewand schmückt eine Kette mit magischen Symbolen. Wie aufgebahrt liegt die alte Frau auf einem kargen Lager. Ihr bronzenes Gesicht wirkt eingefallen, als schwinde ihr mit der Lebenszeit auch die Stofflichkeit. Die Augen unter den gesenkten Lidern fixieren den Betrachter – warm, ernst, liebevoll.
„Me £1“ ist der Ausgangspunkt einer elfteiligen Porträtreihe der niederländischen Fotografin Inez van Lamsweerde, deren Arbeiten derzeit gemeinsam mit zwei weiteren Ausstellungen zeitgenössischer Künstlerinnen in den Deichtorhallen gezeigt werden: den „Personal Programs“ der amerikanischen Objektkünstlerin Andrea Zittel und Hanne Darbovens „Hommage à Picasso“.
In der immergleichen Pose eines seltsamen Aufgebahrtseins hat Inez van Lamsweerde die ihr nahestehenden Menschen auf Cibachrome gebannt. Die elfte und letzte Bahre allerdings bleibt leer, nur den sanften Abdruck eines Körpers hinterlassend. „Me“ ist eine Liebeserklärung, ein Abschied und zugleich der Versuch eines sehr unkonventionellenSelbstporträts. Der Ausdruck der Betrachteten wird zum Spiegel des Betrachters – als reflektierte Projek-tion. Ein nahezu metaphysischer Ansatz, verglichen mit ihren früheren Arbeiten, die noch durch verstörende fotografische Manipulationen am menschlichen Körper provozieren wollen. Mit Hilfe digitaler Bildbearbeitung verschmilzt sie etwa in der 1992/93 entstandenen Serie „Thank You Thighmaster“ den Kopf einer Barbiepuppe mit einem weiblichen Akt. Alle Körperöffnungen sind verschlossen. Unter der glatten Haut pulsiert das Blut durch die geschwollenen Adern. Oder Lamsweerde implantiert den lasziv posierenden dreijährigen Mädchen der '96er Serie „The Final Fantasy“ die grinsenden Münder erwachsener Männer.
Die Destruktion der gewohnten Sicht erzeugt ein gespenstisches Unbehagen, das sich subtil auch in den konstruierten Lebensräumen der US-Künstlerin Andrea Zittel fortpflanzt. Eigentlich gibt es keine Probleme, sondern nur die falschen Möbel, lautet die Botschaft der „A to Z Personal Programs“. Im Sog einer sich mehr und mehr beschleunigenden Konsumwelt stellt Zittel die Frage nach den essentiellen menschlichen Bedürfnissen – und das nicht ohne Selbstironie.
Warum ständig die Kleidung wechseln, wenn es auch zwei Halbjahresuniformen tun? Und wieso belastendes Geschirr anschaffen, wenn sich das dehydrierte Tro-ckenfutter auch aus Mulden in der Tischplatte löffeln läßt? Ja, selbst auf platzraubende Möbel kann letztlich verzichtet werden, wenn sie als Grundriss in den Teppich eingewebt sind – als zweidimensionale Abstraktion der Einrichtung selbst, die sich zudem auch gut als Wandschmuck umnutzen läßt.
Andrea Zittels immaterielle Präsenz, ihre gestaltgewordenen Gewohnheiten und Eigenarten, durchdringen jeden Möbelentwurf – ohne dass sie selbst je Gegenstand der Ausstellung wird. Das erzeugt ein eigenartiges Gefühl der Beklemmung, als würde einem nach und nach die Haut eines anderen übergestülpt.
Und auch die Hamburger Objektkünstlerin Hanne Darboven tritt hinter ihrem Werk zurück, gleichsam unsichtbar sichtbar. Ihre 270 Tafeln umfassende „Hommage à Picasso“ ist eine böse Abrechnung mit der abendländischen Kunstgeschichte. In akribischer Schreibarbeit hat sie 1995 und 1996 sämtliche Tage, Monate und Jahre von 1990 bis 1999 zerteilt, summiert und aufgelistet. Zahlen sind wohl die vollkommenste Abstraktion, die der Mensch je geschaffen hat. Ein in sich logisches System, unabhängig von den Erscheinungen der Natur und Launen der Kritiker. Was bleibt schon noch zu sagen angesichts einer derart bestechenden Gleichung wie etwa: 23 + 7 + 9 + 1 = 40?
Darbovens emotionsloses Rechenexempel ist eine radikale Verweigerung jeder personifizierenden Kunstinterpretation. Das lässt ihre Huldigung der Kunstikone Picasso zum blanken Zynismus werden, inszeniert als monumentaler Götzenkult. Blasphemisch kombiniert sie Reproduktionen Picassos mit folkloristischem Kunsthandwerk zu heiterbunten Vitrinenarrangements. (Manche Besucher finden das richtig hübsch.) Ihre von „picassoid“ bemalten Holzrahmen eingefassten Zahlentafeln wecken die Assoziation eines mit Hieroglyphen ausgeschlagenen Pharaonengrabes. Und mittendrin steht gar ein aufgebockter Altar, auf dem das Werk des Jahrhundertkünstlers selbst in Gestalt einer Ziege seines Schicksals harrt.
Im neuen Jahrtausend habe der weihevolle Ernst der Kunstbetrachtung ausgedient, kommentiert ein Schild der Deichtorhallen. Nur lachen muss man dennoch nicht.
Inez von Lamsweerde: „Photographs“, Andrea Zittel: „Personal Programs“, Hanne Darboven: „Hommage à Picasso“, bis 27. Februar, Di bis Fr 11 - 18 Uhr, Sa und So 10 - 18 Uhr, Deichtorhallen
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