: Der Kampf ums Mikrophon
■ Im Bürgerhaus Weserterrassen mischten sich unter dem Titel „Freestyle Fellowship“ Analog und Digital ineinander
Es muss anscheinend alles einmal ausprobiert, jede denkbare Kombination mit Mendelscher Akribie vollzogen und am lebenden Objekt auf seine Tauglichkeit erprobt werden. Nun sind gerade Drum'n'Bass und Jazz (in einem jeweils weiteren Sinne) in den letzten Jahren schon häufiger fruchtbare Ehen eingegangen, wie zum Beispiel, als der Gitarren-Improvisateur Derek Bailey mit einem eher mittelmäßigen DJ eine Platte aufnahm. Die formale Offenheit beider Richtungen in Verbindung mit einer stilistischen Offenheit, sowie das Verständnis von der jeweils eigenen Musik als einer avantgardis-tischen, zumindest aber einer ständig weiter zu entwickelnden, machen diese Kombination so ergiebig.
Am Samstag trafen nach verschiedenen Joint Ventures in kleinerem Maßstab auf Betreiben von Urban Style Music, M.I.B. und Blue Moon Bar im BGH Weserterrassen die DJs Mood und Sebastian Kobs nun mit gleich neun Musiker-Innen aus der Bremer Szene zusammen. Zwar sind einige davon, wie beispielsweise Sema Mutlu, nicht in erster Linie als Jazz-MusikerInnen bekannt, aber alle gemäß dem Titel 'Freestyle Fellowship' spontanen Tönen durchweg zugetan. Von vornherein als Dance-Event angekündigt ging es hier natürlich weniger um radikale Ausbrüche, wie sie am selben Abend die Flying Luttenbachers im Freizeitheim Friesenstraße vorgeführt hatten. Im Bürgerhaus wird schließlich samstags getanzt. So auch diesmal. Enorm entspannt groovte die sich ständig verändernde Besetzung auf der oft zu kleinen Bühne. Mehr als einmal hatten Teile des Personals Schwierigkeiten, noch ein freies Mikrophon zu finden und zwischen ihren KollegInnen hindurch zu ebenjenem zu gelangen. Dem Fluss ihrer Performance tat das keinen Abbruch. Das Publikum, im Durchschnitt nicht unerheblich älter als die Klientel, die sich sonst samstäglich in den Weserterrassen vergnügt, schaffte die Gratwanderung zwischen Tanzvergnügen und Szenen-Applaus mit Leichtigkeit. Es ließ sich sogar zu den Mitsingspielchen hinreißen, die Sema Mutlu etwas unnötig anzuzetteln suchte. Und auch für das furchtbare 'Obladi-Oblada' der Beatles fand sich zwischen Michael Bergers sphärischen Klängen, rappelnden und raschelnden Breakbeats und den satten Bläsereinlagen von Ralf Benesch, Michael Groß und Hans-Christian Klüver noch ein Plätzchen. Aber das kann nun mal vorkommen, wenn nichts geplant ist und die Mitwirkenden einen solch heterogenen Background haben.
Dass die Musikalität der neun 'konventionellen' MusikerInnen zumindest am vergangenen Samstag die Attraktion des Abends war, ließe sich daraus schließen, dass nachdem der letzte von ihnen die Bühne den beiden DJs überlassen hatte, der Altersdurchschnitt nach und nach in dem Maße sank, in dem sich auch das Publikum dezimierte. Da wurde dann auch hörbar, wie gering der Input der Turntable-isten auf die „Freestyle Fellowship“ bisweilen war. Über weite Strecken war weit eher eine Band mit integriertem DJ zu hören, als ein echtes Zusammentreffen zweier gleich starker musikalischer Strömungen. Aber vielleicht braucht das auch einfach nur ein wenig Zeit. „Wenn es gut läuft, dann werden wir das bestimmt nochmals machen“, war nachher noch von einem Akteur zu hören. Macht das mal!
Andreas Schnell
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