Berliner Ökonomie
: Flecken als Gesicht

Pässetauschen und anderer Handel: Geldbeschaffung auf Afrikanisch

Der schwarze Kontinent gilt als Dritte Welt par excellence, wo nicht nur – laut Hegel – jedes gute Wort, sondern auch jede harte D-Mark spurlos verschwindet. Auf der 1. Messe über Geldbeschaffungsmaßnahmen bot dazu der Berliner Verlag Das Arabische Buch ein Dutzend „Diskussionspapiere“ an: „Die Verschuldungskrise in Afrika – Ansatzpunkte für eine Lösung“, „Der informelle Finanzsektor von Marktfrauen in Dakka“, „Die Last der Arbeit und der Traum vom Reichtum – Frauengruppen in Kenia zwischen gegenseitiger Hilfe und betriebswirtschaftlichem Kalkül“. Hinzu kam noch eine Untersuchung über verschiedene Formen von Dritte-Welt-Ökonomien in Berlin selbst.

Zwei FU-Politikstudentinnen hielten all diese Titel für Forschungs-„Fakes“. Dabei befand sich gleich daneben ein Stand von drei Ghanaerinnen, die Fleischtaschen, Chicken Soup und Kaffee anboten. Es waren Schwestern. Die eine – reich verheiratet – verkaufte auf eigene Rechnung, die andere – arm verheiratet – half ihrer Schwester, die mit den Lebensmitteln ihren Flug nach Hause finanzieren wollte. Gleichzeitig erhoffte sie sich noch eine größere Summe aus der Teilnahme am „On Bidong“. Bei diesem von ihnen „Merry-Go-Around“ genannten Selbstfinanzierungssystem geht es darum, dass reihum jeder 250 Mark monatlich in einen Topf wirft, der dann an einen besonders Bedürftigen verteilt wird. Die Ausschüttung kann auch per Losverfahren entschieden werden.

Der Messe-Mitveranstalter Guillaume Paoli hatte ein solches „Banksystem“ bereits in Paris kennengelernt und wollte unbedingt eine Diskussion darüber auf der Messe veranstalten, fand jedoch in der hiesigen afrikanischen Szene keine Teilnehmer. Nun wollte es der Zufall, dass eine der Schwestern dies quasi nebenbei erledigen konnte. Sie bekam 400 Mark für ihren Vortrag.

Off the records berichtete sie noch über weitere afrikanische Dritte-Welt-Ökonomien in Berlin. Diese haben ihre Basis in den diversen afrikanischen Disco-Clubs, Restaurants, Afro-Shops und Cafés – wie das Jambo in Kreuzberg beispielsweise. Dort kann man auch das Nachrichtenblatt für die afrikanische Gemeinde in Deutschland The African Courier (TAC) lesen. Eine Ausgabe hat den Aufmacher „Telephoning Becomes Cheaper As Deutsche Telekom Loses Monopoly“. Seitdem gibt es immer mehr Läden, in denen man billig ins Ausland telefonieren kann – nach Ghana kostet die Minute etwa 96 Pfennig.

Anders als die meisten anderen Ausländergruppen halten viele Afrikaner einen engen Kontakt sowohl zu ihren Angehörigen und Freunden daheim als auch zur afrikanischen Szene in Berlin und Westdeutschland. Nur ein individueller sozialer Aufstieg, wie etwa die Einheirat in die kulturelle oder wirtschaftlich obere Mittelschicht, wirkt hier entsolidarisierend. Die meisten können nicht nur keinerlei finanzielle Hilfe von zu Hause erwarten, sie müssen umgekehrt mindestens einen Teil ihrer Familie dort unterstützen.

Ihre Ökonomie, die sie sich dafür aufbauen, ist äußerst prekär. Das Spektrum reicht von kleinen Import-Export-Geschäften und Container-Transporten von hier nahezu wertlosem Zeug bis zum Sex-Business. Aber selbst in den Bordellen werden die Afrikanerinnen arg diskriminiert – von den Puffmüttern und blonden Kolleginnen bis zu den Freiern halten sich alle für etwas Besseres: ein weiterer Grund, zusammenzuhalten. So wird das von Polizeirazzien oft heimgesuchte Lulu in Neukölln von Kenianerinnen dominiert und das Tutti im Prenzlauer Berg, das sich bester Polizeikontakte rühmen kann, von Ghanaerinnen, während in der Sauna-Bar hinterm Adenauerplatz am liebsten US-Afrikanerinnen arbeiten.

Von einer erfuhr ich dort: Alle Farbfilme der Welt (Konica, Fuji, Kodak, Agfa und seit 1992 auch Orwo) sind auf 12 Uhr mittags New Yorker Sommerzeit geeicht – und dort auf die Gesichter von Weißen: „Wenn die Sonne lacht, Blende acht!“ Das hat zur Folge, dass die Gesichter der Afrikaner auf automatischen Farbfotos meist versacken, manchmal sind nur dunkle Flecken zu sehen. Da andererseits viele Weiße die Gesichter von Schwarzen sowieso nicht unterscheiden können, hat sich für diese in Europa die Möglichkeit ergeben, Pässe einfach untereinander auszuleihen. Im Schnitt besitzt jede achtköpfige Familie wenigstens drei anständige Pässe.

In vielen afrikanischen Staaten müssen neben dem Beglaubigungsstempel inzwischen auch Dokumente, die die Echtheit des Beglaubigungsstempels zertifizieren, beigebracht werden. Das hat jedoch nicht verhindern können, dass viele Leute vom Passverleih leben können: Wenn zum Beispiel eine Afrikanerin ohne ordnungsgemäße Papiere als letzte Geldbeschaffungsmaßnahme in einem Bordell arbeiten muss, kann sie sich für 20 Mark am Tag – plus einmaliges Depositum von 200 Mark – den Pass einer hier legal mit Arbeitserlaubnis lebenden Afrikanerin leihen. Übrigens nehmen ihr die Bordelle noch einmal rund 50 Prozent ihrer Einnahmen ab. Die Folge dieser Passgeschäfte ist ein großes Durcheinander. Auch bei den Afrikanerinnen selbst, die etwa als Rosalinde einreisen, als Mary-Eve anschaffen gehen und als Yolande ausreisen, wobei sie keinen Hin- und Rückflug buchen können, weil sie danach mit einem Pass auf den Namen ihrer Schwester Hillary, die eigentlich gar nicht ihre richtige Schwester ist, wieder einreisen wollen. Später holen sie dann noch ihre Tochter Judith nach, die auch nicht ihre richtige Tochter ist. Ja, die Afrikanerinnen sind wohl die wahren Meister im Netz – das das Leben selbst ist. Helmut Höge