: Rivalen um Bubis’ großen Hut
Anfang Januar wählt der Zentralrat der Juden einen Nachfolger für Ignatz Bubis. Oder eine Nachfolgerin. Ob Paul Spiegel oder Charlotte Knobloch – ein Generationswechsel wird noch nicht stattfinden ■ Von Lukas Wallraff
Berlin (taz) – Für den jungen Kellner im Berliner Nobelhotel Four Seasons ist die Lady mit dem silbrigen Haarschopf ein ganz normaler Gast, der zum Frühstück kommt. „Gehören Sie auch zu der Reisegruppe?“ Eine elegante Erscheinung, diese Dame, aber keine Prominente, die man kennen muss. Noch nicht.
Falls Charlotte Knobloch erreicht, was sie will, wird sich das bald ändern. Die 66-jährige Münchnerin strebt eines der meistbeachteten Ämter der Republik an – sie möchte Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland werden. Als erste Frau in dieser Position und als Nachfolgerin von Ignatz Bubis, der im August 72-Jährig starb. Bis Sonntag war Knobloch die Einzige, die öffentlich ihre Kandidatur angemeldet hatte. Nun ist mit dem 61-jährigen Paul Spiegel ein aussichtsreicher Gegenkandidat in den Ring gestiegen (siehe Text unten).
Gewählt wird am 9. Januar, der Ausgang ist offen. Wer immer das Rennen macht, er oder sie tritt ein schweres Erbe an. Das weiß auch Charlotte Knobloch: „Was Ignatz Bubis geleistet hat, war einmalig. Das kann niemand nachahmen.“ Das prominenteste Präsidiumsmitglied, der Frankfurter Anwalt und CDU-Politiker Michel Friedman, lehnte eine Kandidatur frühzeitig ab und sprach zur Begründung von einem „unglaublich großen Hut“, den Bubis hinterlassen habe und „den sein Nachfolger erst einmal füllen muss“.
Knobloch traut es sich zu. Die Vorsitzende der Münchner Gemeinde machte aus ihren Ambitionen von Anfang an kein Geheimnis. Schon zwei Tage nach Ablauf der Trauerzeit um den verstorbenen Präsidenten erklärte sie sich in einem Interview bereit, „die Politik von Bubis fortzusetzen“. Ihr Auftritt bei der offiziellen Trauerfeier im September in der Frankfurter Westend-Synagoge wurde so zu einer Bewerbung in eigener Sache. Statt einer wohlfeilen Gedenkrede hielt sie den versammelten Repräsentanten des Staates eine Standpauke. Knobloch warf ihnen vor, sie hätten Ignatz Bubis im Streit mit Martin Walser im Stich gelassen. Auf dem Kopf trug sie einen unglaublich großen Hut.
An mangelndem Selbstbewusstsein leidet Knobloch nicht. Schließlich hat sie in ihrem Leben einiges erreicht. Seit 1985 regelt sie als einzige weibliche Gemeindevorsitzende die Geschicke der Juden von München und Oberbayern. Ein Münchner Jude, der sie gut kennt, vergleicht ihren Führungsstil mit dem der englischen Königin Elisabeth I. Ohne Knobloch läuft in der Gemeinde nichts, vom Delegieren hält sie wenig. Sie gilt als konservativ, aber respektlos. Im Streit um die Wehrmachtsausstellung legte sie sich auch mit den Granden der örtlichen CSU an. Auf ausdrücklichen Wunsch von Ignatz Bubis wurde sie vor zwei Jahren Vizepräsidentin des Zentralrats. Dass Knobloch die Statur hätte, seine Nachfolge anzutreten, bestreitet auch im Männerverein Zentralrat niemand. Es sei „absoluter Quatsch“, dass sie als Frau geringere Chancen hätte, sagt Michael Fürst, dienstältestes Mitglied im Direktorium und Landeschef von Niedersachsen.
Trotzdem gibt es Vorbehalte gegen die ehrgeizige Kandidatin. Als enge Vertraute von Bubis steht Knobloch für Kontinuität. Doch viele Juden in Deutschland wünschen sich einen Neuanfang. „So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen“, sagt Fürst. „Es kann nicht sein, dass der Präsident auch noch zur Wetterkarte der ;Tagesschau‘ Stellung nimmt.“ Bubis war zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen befragt worden und hatte stets bereitwillig Auskunft gegeben. Für ihn war die Verständigung mit der nicht jüdischen Bevölkerung eine Mission, dafür trat er in Talkshows auf und reiste bis in die entlegensten Gegenden. War das zu viel des Guten? Der oder die Neue müsse sich wieder mehr dem „innerjüdischen Bereich“ widmen, meint Fürst.
Je länger Bubis tot ist, desto deutlicher werden die Sorgen angesprochen, die durch seine alles dominierende Persönlichkeit überdeckt wurden. Das größte Problem, das Bubis hinterlassen hat, ist die bisher missglückte Integration der Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder auf rund 90.000 fast verdreifacht. Vor allem die kleineren Gemeinden fühlen sich überfordert und vom Zentralrat im Stich gelassen. „Diese Thematik ist eine der größten Aufgaben, die wir haben“, sagt Knobloch, „doch das können wir nicht allein. Dafür brauchen wir die Unterstützung der öffentlichen Hand.“
Viel zu tun gibt es auch auf einem ganz anderen Gebiet, das die jüdische Gemeinschaft in ihrer Identität trifft und zu spalten droht. Viele, vor allem jüngere, Juden können mit den traditionell orthodoxen Einheitsgemeinden nichts mehr anfangen. In fast allen größeren Städten gibt es bereits eigenständige, liberale Gemeinden. Nur in Berlin und Frankfurt ist es den „Muttergemeinden“ gelungen, den Laden zusammenzuhalten, indem man aufeinander zuging und Kompromisse schloss. „In den orthodoxen Gemeinden ist es nicht möglich, liberale Gottesdienste zu führen“, klagt Peter Langguth, ehemaliger Vorstand der liberalen Gemeinde in Heidelberg. Abweichler würden nicht geduldet, die traditionellen Gemeinden hätten die Synagogen und „das Recht für sich gepachtet“. Deshalb hält es Langguth kaum noch für möglich hält, die Aussteiger zurückzuholen. Gerade die Kandidatin Knobloch hat sich bisher als Verfechterin der traditionellen Linie hervorgetan. Ihre Münchner Gemeinde gilt als besonders orthodox.
Verständigung mit den jungen Liberalen, Integration der Zuwanderer, Lösung der Finanzkrise – diese Aufgaben werden quer durch alle Gemeinden als wichtigste des Zentralrats genannt. Von der Vergangenheit ist kaum noch die Rede, auch die Verständigung mit der nicht jüdischen Bevölkerung wird nur noch am Rande erwähnt. Es hat sich viel verändert in der jüdischen Gemeinschaft. Da ist es nur normal, wenn angesichts der neuen Aufgaben über einen Generationswechsel an der Spitze des Zentralrats nachgedacht wird.
Doch es sieht nicht danach aus, dass er schon im Januar vollzogen wird. Zum einen, weil sich keiner der Jüngeren vorwagt. Zum anderen, weil das Leben für Juden in Deutschland auch an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend noch alles andere als normal ist. Für die jüdische Gemeinschaft, die bisher vor allem durch die Erinnerung an den Holocaust zusammen gehalten wird, wäre es ein riesiger Schritt, zum ersten Mal auf die Erfahrungen der älteren Generation zu verzichten, die die Nazi-Zeit noch selbst erlebt hat. „Ich plädiere weiter dafür, dass einer aus der Überlebendengeneration das Amt übernehmen sollte“, sagt Michel Friedman. Der 43-Jährige hat im Moment wohl selbst keine Chance auf das Spitzenamt – dafür ist der umtriebige Medienmann intern zu unbeliebt. Wenn er sich jetzt für einen der Älteren ausspricht, dann vielleicht nur, um zu verhindern, dass einer seiner jüngeren Rivalen gewählt wird.
Knobloch möchte nicht länger als drei Jahre Präsidentin sein: „Ich sehe das schon als gewisse Übergangszeit.“ Doch wer wird den Übergang gestalten? Knoblochs Gegenkandidat Spiegel gilt als farblos, könnte aber gerade deshalb das Rennen machen. Denn bei aller Liebe für den großen Charismatiker Bubis: Jetzt scheint jemand gefragt zu sein, der sich eher still um die Probleme der Gemeinden kümmert. Da wirkt Spiegels zurückhaltende Art möglicherweise besser als Knoblochs frühe Kandidatur und ihr Image als autoritäre Macherin. Politisch jedenfalls gibt es zwischen ihnen kaum Unterschiede.
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