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Neues Forum gegen Finanzkrisen

Industrie- und Schwellenländer bilden die „Gruppe der 20“. Heute tagen Finanzminster erstmals in Berlin. Offene Debatte hinter verschlossenen Türen ■ Von Katharina Koufen

„Wir sind ein Arbeitsforum, in dem die Minster sich austauschen können, ohne dass jedes Wort an die Presse geht“

Berlin (taz) – Die Staatengemeinschaft hat eine neue Diskussionsrunde: Die Gruppe der 20 (G 20). Sie trifft sich zum ersten Mal heute in Berlin. Dorthin hat der deutsche Finanzminister Hans Eichel eingeladen, der derzeit den Vorsitz der Gruppe der sieben wirtschaflich mächtigsten Industriestaaten (G 7) innehat.

In der G 20 wird die Siebenerrunde – die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Kanada und Italien – um zwölf Staaten erweitert, die auf Grund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung eine wichtige Rolle im internationalen Finzanzsystem spielen. Neben Australien und der „Rest-EU“, also denjenigen EU-Mitgliedern, die nicht schon über die G 7 vertreten sind, sitzen diesmal auch einige ausgewählte Schwellenländer mit im Boot: Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea und die Türkei.

Zu dem heutigen Treffen kommen die Finanzminister, deren Stellvertreter und die Notenbankchefs der G 20-Staaten nach Berlin. Außerdem sind die Chefs des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank – der scheidende Michel Camdessus und James Wolffensohn – sowie die Vorsitzenden des Entwicklungs- und des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses dabei, die ebenfalls zu den beiden Finanzinstitutionen gehören. Die als Einheit auftretenden elf Länder der Europäischen Union werden durch den Finanzminister von Finnland als Ratspräsidenten und von Wim Duisenberg, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), vertreten.

Die Idee, sich zu einer auf 20 Mitglieder erweiterten Gruppe zusammenzuschließen, geht auf eine Initiative beim Weltwirtschaftsgipfel in Köln im Juni dieses Jahres zurück. Ein solcher Zusammenschluss diene der „Stärkung der internationalen Finanzarchitektur“, fanden die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs. Konkretere Züge nahm dieser Vorschlag dann in Washington an, wo Ende September 1999 der IWF und die Weltbank tagten.

Ziel der G 20 soll sein, die Krisenanfälligkeit des weltweiten Finanzsystems zu verringern und wichtige Volkswirtschaften von vornherein stärker im Auge zu behalten. „Das wollen wir tun, indem wir in einer offenen und tiefer schürfenden Debatte zentrale Fragen erörtern“, sagte Caio Koch-Weser, Staatssekretär im Finanzministerium, gestern in Berlin. Offen schon – aber hinter verschlossenen Türen: „Wir verstehen uns als effektives Arbeitsforum, in dem die Minister sich frei untereinander austauschen können – ohne dass jedes Wort gleich an die Presse geht. Die Beratungen sollen vertraulich bleiben.“ In der G 20 soll der informelle Dialog zwischen den Finanzministern gepflegt werden, die Gruppe ist kein Entscheidungsgremium. Druck wollen die Mitglieder allenfalls auf moralischer Ebene ausüben – „Führen durch gutes Beispiel“, sagt Koch-Weser.

Zur Begründung, warum neben so vielen anderen bereits bestehenden Ländergruppen eine weitere Diskussionsrunde ins Leben gerufen wurde, sagte der Staatssekretär: „Die Finanzkrisen von 1997 und 1998 haben sehr deutlich gemacht, dass die Zusammenarbeit zwischen Industrie- und Schwellenländern vertieft werden muss.“ Um die zunehmende Bedeutung der Schwellenländer mit Zahlen zu unterlegen, nannte Koch-Weser zwei Beispiele: Die privaten Netto-Kapitalströme in diese Länder hätten sich in den 90er-Jahren versiebenfacht. Die aufstrebenden Staaten erwirtschafteten bereits 15 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts.

Die G 20-Staaten, die 85 Prozent des Welt-Sozialprodukts erwirtschaften und deren Bewohner fast zwei Drittel der Weltbevölkerung ausmachen, wollen mit den beiden Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank bei der Verbesserung des weltweiten Finanzsystem eng zusammenarbeiten. Dabei wird vor allem die Einbindung des privaten Sektors eine Rolle spielen. „Wir müssen gemeinsam überlegen: Wie überzeugt man private Investoren, aus eigenem Interesse ihr Kapital bei aufkommenden Krisen nicht abzuziehen“, so Koch-Weser, der nächstes Jahr möglicherweise IWF-Direktor wird.

In Berlin und bei den folgenden Treffen wird es darum gehen, die „Eckpfeiler“ einer soliden makroökonomischen Politik zu definieren. Konkret stehen Wechselkurssysteme, Unternehmensführung und Konkursverfahren auf der Tagesordnung sowie die Entwicklung von Kodizes in den Bereichen Finanzmarkttransparenz, Datenverarbeitung und Stabilität des Finanzsektors.

Die Gruppe der 20 will sich ein-bis zweimal pro Jahr treffen. Den Vorsitz übernimmt alle ein bis zwei Jahre ein anderes Land. Dieses Jahr ist der kanadische Finanzminister Paul Martin an der Reihe. Statt „von einer Konferenz zur anderen zu reisen“, hofft Koch-Weser auf „neue Kommunikations formen“ – etwa via Vernetzung.

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