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Traumata freilegen

Die TV-Forscher RE-Products ziehen heute im Metropolis eine Zehn-Jahres-Bilanz  ■ Von Marit Hofmann

Alles begann mit dem Tod „Hänschen“ Rosenthals im Februar 1987: In der Gewissheit, dass der Liebling der Nation nie wieder einen seiner für den debilen Zustand der Gesamtgesellschaft repräsentativen „Das war spitze!“-Luftsprünge tun würde, traf sich eine Gruppe Gleichgesinnter, um mit einer privaten Inszenierung der „Dalli-Dalli“-Show aktive Trauerarbeit zu leisten. Aus der Spontanaktion entwickelte sich die Idee zum RE-Products-Projekt, das laut Gründungspräambel durch „Wiederverwertung und Aufarbeitung von vorhandenem medialen Material (...) kollektive Traumata in persönlichen Schicksalen“ freilegen und „so für eine Allgemeinheit erkennbar und erlebbar“ machen will – wobei die hochtrabende Formulierung bereits andeutet, dass es nicht zuletzt auch um den ironischen Umgang mit Ritualen der Medienwelt geht.

Die nun anstehende Bilanz aus gut zehn Jahren angewandter Fernsehforschung, zu der die Gruppe ins Metropolis lädt, verheißt angesichts des zur Zeit in den Medien arg strapazierten Wiederholungsformats des Jahrhundert- respektive Jahrtausendrückblicks eine angenehme Abwechslung. Denn hier wird die Dauerberieselung via Mattscheibe nicht in nostalgischer Trashkult-Manier rekapituliert, sondern durch geschickte Montage und parodistische Verfremdungen ihr Wirkmechanismus sichtbar gemacht und der alltägliche Irrsinn der Abendunterhaltung zutage gefördert.

Da erscheint Pfarrer Fliege, durch schnelle Schnitte auf seine Ergriffenheitsgestik reduziert, nur noch als Händchen haltender und Phrasen der Betroffenheit abspulender Automat. Ganoven-Ede lassen die RE-Producer in einem fort „zu Konrad Toenz in Zürich“ schalten – an die Stelle einer Kritik an der institutionalisierten Verbrecherhatz tritt in den Beiträgen zu „Aktenzeichen XY“ das Interesse, die Auslöser für den faszinierenden Schauder aufzuspüren, den diese Ursendung des Reality-TV bei Generationen fernsehsozialisierter Deutscher erzeugt. Und wenn schließlich in einem Fünf-Minuten-Film diverse Serien-Ermittler vom „Kommissar“ bis „Derrick“ ununterbrochen Todesnachrichten überbringen („Ihr Mann ist tot.“ – „Er wurde erschossen.“ – „Erschossen?“ – „Ein Schuss in die Brust.“), dann ist das, vom subversiven Potential einmal abgesehen, in erster Linie von einer betörenden Komik und erinnert in der Verfahrensweise an Ror Wolfs ungekrönte Radio-Collagen aus der Welt der Fußballübertragungen.

Allerdings darf hier nicht verschwiegen werden, dass ein Besuch der Präsentation tiefgreifende Folgen haben könnte: Bevor es in den Genuss der erwähnten Kurzfilme kommt, muss sich das Publikum in einem CD-Rom-Testlauf der sogenannten „Kyberkurbehandlung“ („Kyberkur in Bad Lux“, Systema, 49 Mark, das derzeit einzige RE-Products-Produkt auf dem Markt) unterziehen, deren Risiken und Nebenwirkungen noch weitgehend unerforscht sind. Ein Selbstversuch führte bei der Autorin in kürzester Zeit zu einer – von der tiefgehenden Abneigung gegen Lichtanwendungen, Farbdiäten und die Kommandos der rigorosen Oberschwester Mariola Brillowska begleiteten – Totalneurose. Selbst beim Minigolf wurde ich auf Todesgefahren wie das Hautkrebsrisiko durch UV-Strahlung aufmerksam gemacht, und wenn ich vor den Horrorstorys paranoider Kurgäste die Flucht ergriff, hieß es gleich, ich würde mich abkapseln und dadurch den Therapieerfolg gefährden. Nicht mal heimlich betrinken konnte ich mich, weil man mir Abs-tinenz und vorsorglich auch gleich Hausverbot in der einzigen Kneipe verordnet hatte.

Würde mich nicht wundern, wenn Hans Rosenthal kurz vor seinem Tod in Bad Lux zum Kuren war. Wir schalten um zu Konrad Toenz nach Zürich.

„Kucken bis die Kranken-schwester kommt“, heute, 21.15 Uhr, Metropolis; jeden ersten Dienstag im Monat: „Das Fernsehmuseum tagt“ (im Filmhaus in den Zeise-Hallen), mit Fernseh-shows der Siebziger und mehr

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