Schmähen lernen mit Wehner und Haddock ■ Von Wiglaf Droste
Lange ist es her, dass ein Satiriker einen Politiker von Herzen loben konnte, uneingeschränkt hymnisch und überzeugt. Als Herbert Wehner 1983 nach 34 Jahren seinen Dienst als Parlamentarier im Deutschen Bundestag beendete, schrieb Robert Gernhardt den Aufsatz „Lerne Schimpfen mit Herbert Wehner“. Gernhardt feierte Wehner als „Leistungsschimpfer, Profikrakeeler und Berufsbeleidiger“ und insgesamt „furchtlosen Mann“, der es auf 77 Ordnungsrufe brachte, stolze sechs allein zwischen 1970 und 1980 für die Invektive „Lümmel“. Zu weiteren Schimpfhochleistungen Wehners zählen: „Sie einstudierter Pharisäer!“ (zu Dr. Rainer Barzel, CDU/CSU, 1958); „Schleimer!“ (wiederum zu Barzel, 1970); „Sie Frühstücksverleumder!“ (zu Dr. Friedrich Zimmermann, CDU/CSU, 1979) und das grandiose Sie Regisseur!“ (zu Dr. Marx, CDU/CSU, 1980).
Eine Sternstunde erlebte der Bundestag am 20. März 1975. Das Wort hat der Abgeordnete Möller (CDU/CSU): „Ich habe das Gefühl...“ Darauf Wehner: „Dass Sie überhaupt Gefühle haben, bezweifle ich.“ Möller: „Ach, Herr Wehner, Ihre für den deutschen Parlamentarismus beschämenden Ausbrüche kennt die deutsche Öffentlichkeit leider.“ Wehner pariert die lahme Entgegnung mit einer absolut verblüffenden Volte: „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus!“ Möller ist derart entwaffnet, dass er anlasslos etwas über das Jahr 2000 zu erzählen beginnt. Woraufhin Wehner ihm mit der Wiederholung den Garaus macht: „Waschen Sie sich erst einmal!“ Ein Jammer, dass man nicht dabei war.
Zweideutigkeiten gegen Abgeordnete, beschreibt Gernhardt Wehners Erfolgsrezept, seien „Perlen vor die Säue. Kraftwörter führen bei diesen Troglodyten weiter.“ Und bei Troglodyten, also Höhlenmenschen, ist man direkt bei Käpt’n Haddock, der eigentlichen Hauptfigur der „Tim und Struppi“-Comics. Haddock beherrscht die hohe Kunst der nicht sinngebundenen Beleidigung perfekt; Troglodyt ist nur einer der vielen Begriffe, aus denen Haddock Invektiven macht, indem er sie aus ihrem Bedeutungszusammenhang reißt, sie mit ihnen nicht kompatiblen Begriffen zusammenspannt und diese wüste Mischung anderen Leute an die Köpfe wirft. „Megahertz!“ ist als Vorwurf für sich schon sehr schön, gekoppelt mit „Pyromane!“ wird es fast unabweisbar. „Weg, ihr Anachronismen! Haut ab, ihr Karnevalsinkas!“, flucht Haddock und schlägt mit der Links-rechts-Kombination „Anthropopitheken! Ikonoklasten!“ seine Gegner in die Flucht. Sehr gern greift Haddock auch zum Vierer ohne Steuermann: „Verbrecher! Amöbe! Autodidakt! Flasche!“ Oder: „Bierkutscher! Straßenfeger! Säbeltürke! Sahnebonbon!“ Oder: „Patagonier! Antipoden! Teppichhändler! Kleptomanen!“
Von 1940 bis 1976 schimpfte Käpt’n Haddock durch die Alben von Hergé. Dank der Reproduzierbarkeit der Comics kann man Haddock noch heute fluchen sehen – im Gegensatz zum leider für immer verstummten Herbert Wehner. Dessen „Waschen Sie sich erst einmal! Sie sehen ungewaschen aus!“ aber neben Haddockschen Glanztaten wie „Logarithmus!“, „Pumpernickel!“, „Würger!“, „Seegurken!“ und „Hatschi-Bratschis!“ aber mit Leichtigkeit besteht.
