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Sammeln für den geliebten Chef

Beschäftigte wollen 800.000 Mark Kaution für ihren Chef zahlen, um den Betrieb zu retten ■ Von Cornelia Jeske

Leipzig (taz) – Chefs werden eigentlich nicht geliebt. Im Leipziger Betrieb für Beschäftigungsförderung (bfb) ist das anders: Da sammelt die Belegschaft Geld, damit der Chef aus dem Knast herauskommt. Seit drei Wochen sitzt Betriebsleiter Matthias von Hermanni im Gefängnis, weil er Gelder veruntreut haben soll. Gegen eine Kaution von 800.000 Mark darf er wieder auf freien Fuß. Doch die hat er nicht. Wenn jeder der rund 5.000 Beschäftigten nun etwa 150 Mark in die Sammlung gibt, feiert Hermanni Weihnachten zu Hause, errechnete der Personalrat. Sogar Ex-Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube versprach finanzielle Hilfe.

Die Beschäftigten im bfb lieben ihren Chef, weil er ihnen Arbeit gibt – wenngleich nur befristet und für durchschnittlich 1.500 DM im Monat. Dafür werden Grünflächen gepflegt, Stadtgüter saniert oder Schweine stressfrei geschlachtet. Wenn der Chef aber nicht mehr da ist, so fürchtet nicht nur Personalrat Frank Lippmann, „droht die Zerschlagung des Betriebes“. Hinter den Anschuldigungen gegen Hermanni vermutet er eine politische Kampagne. Aber auch Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee weiß: „Ohne diesen Betriebsleiter würde es den bfb so nicht geben.“

Hermanni versprach jedem Arbeitslosen einen Job

Die Stadt Leipzig steht hinter ihrem eigenwilligen Projekt, das in sieben Jahren 25.000 Leipziger befristet beschäftigte und als „Modell Leipzig“ Schlagzeilen machte. Als das Geld aus Bonn mal in Strömen floss, arbeiteten rund 8.000 ABM-Kräfte und Sozialhilfeempfänger auf rund 80 Baustellen, im betriebseigenen Schlachthof, der Metzgerei oder auf dem Campingplatz. Für eine kluge Kommunalpolitik steht das „Modell Leipzig“. Jeder Sozialhilfeempfänger, der ein Jahr lang im bfb arbeitet, hat anschließend Ansprüche auf Mittel vom Arbeitsamt und fällt der Stadt nicht mehr zur Last. Ein weiterer Clou: Jeder Sozialhilfeempfänger, der nicht im bfb arbeiten will, bekommt keine Stütze mehr. Folglich verabschiedet sich ein Drittel aus der Sozialhilfe. Auch so spart die Stadt. Und: „Ich kann jedem Arbeitslosen einen Job geben“, versprach Hermanni.

Finanziert wird der bfb über Mittel der Stadt, der EU und des Arbeitsamtes – jährlich etwa 180 Millionen. Doch nicht nur die ansässigen Handwerker haben Sorgen, der bfb schnappe ihnen Aufträge weg. Auch Politiker im Stadtrat stoßen sich am Zentralismus des ABM-Konzerns. Die CDU-Fraktion hat nun beantragt, in Zukunft drei Betriebsleiter einzusetzen. Die stadteigene Beratungsgesellschaft BBVL monierte in den letzten Jahren regelmäßig die „undurchsichtigen Kalkulationen“ der Betriebsleitung. Seit zwei Jahren mühen sich die Grünen im Stadtrat um eine Diskussion von alternativen Beschäftigungsformen. Denn der bfb beeinflusst die Mittelvergabe an andere ABM-Träger. Doch bisher hält die Stadt am „Modell Leipzig“ fest. Da wird auch schon mal ein Auge zugedrückt, wenn der hemdsärmelige Betriebschef über alle Bürokraten hinweg Tatsachen schafft. Vor einigen Monaten z. B. begann Hermanni mit seinen Leuten die Sanierung der heruntergekommenen Kongresshalle, in der schon Louis Armstrong trompetete. Mit fragwürdigen „Baustellenkonzerten“ will Hermanni die Sanierungskosten einspielen. Ein Nutzungskonzept gibt es allerdings noch nicht.

Ermittlungen wegen undurchsichtiger Geschäfte

Doch nun ist Schluss mit Lustig. Seit Sommer ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den umtriebigen Betriebschef. Das LKA hat eine Sonderkommission eingesetzt. Im Jahr 1994 soll Hermanni von dem Hannoveraner Jürgen Sobiak Abrisstechnik gemietet haben, die dem bfb nicht für den gesamten Zeitraum der Mietzahlungen zur Verfügung stand. Sobiak, zugleich Generalunternehmer beim Bau des Privathauses des Betriebschefs, soll als Gegenleistung Arbeiten auf dem Privatgrundstück nicht in Rechnung gestellt haben. Geschätzter Schaden für die Stadt: 900.000 Mark. Inzwischen wurden die Ermittlungen ausgeweitet. Geprüft wird über die Privatangelegenheiten Hermannis hinaus, ob der bfb gegen die Vergabeordnung verstoßen hat. Damit sieht sich der bfb-Personalrat in seiner Angst um den Betrieb bestätigt.

Der Krimi ist billig und mysteriös zugleich: Eine Akte, die Hermanni angeblich entlastet, ist bei der Ermittlungbehörde verschwunden. Eine bfb-Pressemitteilung enthielt als Anhängsel eine skurrile Verschwörungstheorie, von der sich die Pressesprecherin sogleich distanzierte. Keiner weiß, wer sie verfasst hat. Als die Belegschaft Mitte November eine Personalversammlung durchführen wollte, verzögerte eine Bombendrohung den Beginn. Inzwischen, so verkündete die Staatsanwaltschaft, habe sich der Verdacht gegen Hermanni erhärtet.

Im bfb wird dieser Tage die Liebe zum Wessi-Chef auf die Probe gestellt. Beim Geld hört bekanntlich manche Freundschaft auf. „Ich saß auch mal im Knast“, kommentiert ein bfb-Arbeiter die Sammelaktion für die Kaution. „Und da hat auch keiner gesammelt.“

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