: Geld, das schnell weg muss
Ehemalige Zwangsarbeiter sollen mit zehn Milliarden Mark entschädigt werden. Das Geld wird möglicherweise erst Ende nächsten Jahres ausgezahlt. Opferverbände: Das ist zu spät
Berlin (taz/dpa/AP) – Nach der Einigung auf Entschädigungszahlungen für NS-Zwangsarbeiter rechnet Verhandlungsführer Otto Graf Lambsdorff mit neuen zähen Verhandlungen über die Verteilung der vereinbarten zehn Milliarden Mark. Lambsdorff teilte gestern mit, er habe von Bundeskanzler Gerhard Schröder den Auftrag erhalten, die Verteilung der Fondsgelder an die Opferorganisationen auszuhandeln. Er rechne damit, dass die Summe der Einzelforderungen deutlich, womöglich um 50 Prozent, über der Zehn-Milliarden-Grenze liege. Aber mehr Geld werde es nicht geben.
Die Ministerpräsidenten des Saarlands und von Rheinland-Pfalz, Peter Müller (CDU) und Kurt Beck (SPD) kritisierten, dass die Unternehmen ihre Beiträge zu dem Fonds als Betriebsausgaben absetzen könnten. Das bedeute, dass die Hälfte des Industrieanteils auf Kosten der Steuerzahler gehe, deren Beitrag sich so auf 7,5 Milliarden Mark summiere. Lambsdorff sagte dazu, dies sei akzeptabel, denn Zwangsarbeit sei staatlich veranlasst worden. Die Verantwortung dafür müsse die Gesellschaft tragen, also alle.
Der Geschäftsführer des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte, Lothar Evers, mahnte eine rasche Entschädigung an. Sollten frühere Zwangsarbeiter ihre Entschädigungszahlungen erst in einem Jahr erhalten, wäre dies zu spät, so Evers im DeutschlandRadio. Er sagte, noch sei ungeklärt, was mit den in Deutschland anhängigen 5.000 bis 7.000 Klagen von früheren Zwangsarbeitern geschehen solle. Diese Klagen sind teils vor Zivil- teils vor Arbeitsgerichten anhängig. Sie wurden möglich, seit das Bundesverfassungsgericht 1996 den Weg für individuelle Klagen geöffnet hat. Allerdings haben in der Mehrzahl der Fälle die Gerichte den Forderungen der Zwangsarbeiter bisher nicht stattgegeben, unter anderem mit dem Argument der Verjährung.
Evers kritisierte erneut die Haltung der Wirtschaft. Die Firmen bestünden darauf, „die erste Mark nicht fließen zu lassen, bevor sie nicht ganz sicher sein können, dass es damit auch getan ist.
Natürlich könnte man mit ersten Zahlungen beginnen, wenn es nicht die Forderung nach einem absoluten rechtlichen Schlussstrich gäbe“. Die an der Stiftungsinitiative der Wirtschaft beteiligten Firmen fordern eine staatliche Garantie, dass mit der Entschädigung alle laufenden und künftigen Ansprüche abgegolten sein sollen. Ob eine solche Regelung kommt oder nicht, ist noch unklar. US-Unterhändler Stuart Eizenstat hatte bereits am Freitag betont, dass noch viele wichtige Detailfragen geklärt werden müssen. Die Verteilung der Gelder unter den noch lebenden 240.000 KZ- Sklavenarbeitern und einer Million Zwangsarbeitern werde „äußerst schwierig“.
Die deutsche Seite geht davon aus, dass in Polen, Weißrussland, Russland und der Ukraine auf den bestehenden Apparat und die Daten der Versöhnungsstiftung zurückgegriffen werden kann, die noch unter der Kohl-Regierung begründet worden war.
Eizenstat rechnet mit einer Auszahlung von Entschädigungsgeldern erst ab Ende 2000. Die Opferverbände warnten vor einem so späten Zeitpunkt, da viele der ehemaligen Zwangsarbeiter schon sehr alt sind. BD
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