: Reparaturprotokoll 99
Zeitgenosse K.: Ein Mechaniker,wie er (nicht) in der Werkstatt steht
Alles fing damit an, dass meine damalige Lebensabschnittspartnerin den stolz gealterten Turbodiesel für ihre Dienstfahrten nutzte. Man schrieb März 98. Eine Woche hielt er durch, dann meldete meine damalige Lebensabschnittspartnerin den totalen Zusammenbruch der Antriebsmaschine bei Tempo 190. „Wir lassen ihn abschleppen.“ Ich war: generös.
Ich rief den Mechaniker meines Vertrauens an. Er unterhält eine kleine Werkstatt, weiß alles über Nockenwellen, Kompressoren und Wagner-Opern, baute früher Staudämme im Iran, lenkte ehedem zu Marburg einen kommunistischen Reparaturbetrieb und ist vielleicht der denkbar netteste Zeitgenosse. Nennen wir ihn K.
K. kam, warf einen Blick „unter die Haube“, diagnostizierte „Schrott“ und nahm den stillen Stahlesel mit. Er werde sich nach einem Austauschmotor umsehen. Nächste Woche sei „die Kiste“ wieder fit.
Zwei Monate später suchte ich Kontakt. Vier-, fünfmal. Der Anrufbeantworter schwieg. Ich durchkämmte die unmittelbare Umgebung seines Kfz-Labors. Nichts.
Ende Juni hatte ich K. plötzlich an der „Strippe“. Es tue ihm leid, unvorhersehbare Dinge seien eingetreten, gewisse Vorfälle hätten es ihm unmöglich gemacht, überhaupt an Arbeit zu denken, morgen, spätestens übermorgen aber werde er alles Notwendige in die Wege leiten. Gut, sagte ich, prima. Sonst melde ich „ihn“ nämlich ab. Meine damalige Lebensabschnittspartnerin hatte sich unterdessen einen Peugeot „zugelegt“. Ich war generös.
Anfang Juli sah ich ihn nahe der Berger Straße. Er hatte mehrere Entwicklungs-, ja Verrottungsphasen und nicht zuletzt Verwandlungsstadien durchlaufen und diente der Anwohnerschaft augenscheinlich als preisgünstiges Ersatzteillager. Nein, so die Auskunft Mitte August, heute traktiere er einen Opel, morgen sei ich dran, versprochen.
„Ich weiß nicht, es tut mir Leid, ich weiß ja auch nicht, ja, du hast Recht, es muss jetzt geschehen!“, gestand K. zwischen Ende September und Ende November, sobald ich ihn am Apparat „erwischte“. Ich war zum Trinken übergegangen, nachdem regelmäßige Patrouillen lediglich schwer zu erklärende Positionswechsel des Restvehikels hatten dokumentieren können.
Meine damalige Lebensabschnittspartnerin stand mir tapfer bei. Sie ließ mich von ihrer Wohnung aus telefonieren, besuchte mit mir K.s verwittertes Garagentor und segnete auch einen Besuch in K.s Privatwohnung zu delirierender Nachtzeit ab. „Du zwingst mich, dich umzubringen!“, schrie ich K. an, der elend und schuldbewusst auf seiner Couch kau- erte. „Morgen, Jürgen, morgen wird’s erledigt“, flüsterte er.
Das war kurz vor Weihnachten 1998. Der Winter kam, der Winter ging, es kam der Frühling, und der Frühling ging über in den Frühsommer. Wir machten Termine, zirka hundert Stück, Tag um Tag. Dann verschwand K. mehrere Wochen, erklärte, als die Kirschbäume blühten, fürs Wochenende sei ich eingeplant, er sei zwar „noch nicht auf dem Schrott gewesen wegen eines Austauschmotors“, aber ich bekäme jetzt sein Golf-Aggregat, er werde den eigenen Pkw „wegschmeißen“, das sei er mir schuldig.
Der Mai brach an. Ich nutzte den Wagen meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin, ich sprach aufs Band, schlug ans Tor, hielt flammende Reden, und Anfang November wurde aus meiner Lebensabschnittspartnerin eine damalige Lebensabschnittspartnerin. Nun endlich, so K., brauchte ich „die Mühle“ ja umso dringender wieder, er habe sie in die Werkstatt geschleppt, den Motor demontiert, der neue, seiner, hänge bereits am Haken, morgen, spätestens übermorgen . . .
Letzte Woche geschah es. K. nahm ab. Ja, er sei „voll in Fahrt“. „Keine Termine sonst! Es werden keine anderen Arbeiten mehr angenommen!“ Vorvorgestern klingelte es nachts, durch die Muschel drang ein Rattern. „Hörst du ihn?“ Vorgestern surrte die Türklingel. Unten stand mein damaliges Auto. Er war’s. Der Golf. Ohne Kupplungsseil, gerissen. „Morgen früh bau ich’s ein, dann geht’s zum TÜV.“
Gestern leckte der Kühler. Das rechte Radlager zerbrochen. „Einen Tag noch.“ Ich trank.
Heute früh, wir schreiben den 20. Dezember 1999, kam K., fuhr mich zum Rundfunk, kaufte eine Windschutzscheibe, bestach den TÜV und süffelte mit seinem besten Freund anschließend 22 Milchkaffees, „22 – wie 22 Monate“. Mein Herz bummerte.
„Wir haben doch zwei schöne Tage hinter uns gebracht“, sagte K. und strahlte. Ich strahlte mit, aus tiefster Bejahung. Jürgen Roth
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