Vom Selbstgespräch zum Dialog?

Die Wissenschaftler haben den Dialog entdeckt. Gleich mehrere Initiativen wollen den Kontakt zur Gesellschaft fördern. Doch bisher sieht alles nur nach Selbstdarstellung aus

Wissenschaft und Technik bestimmen in immer stärkeren Maß Richtung und Tempo der gesellschaftlichen Entwicklung. Und dieser Einfluss findet meist unmittelbar über neue Produkte und Verfahren statt, ohne dass diese Entwicklung in einer breiteren Öffentlichkeit diskutiert wird. Nur im Zusammenhang mit einigen umstrittenen Technologien wie Kernkraft oder Gentechnik gab es bisher größere öffentliche Debatten über Inhalte und Folgen wissenschaftlicher Arbeit. Da die Wissenschaft sowohl Geld als auch Akzeptanz von der Gesellschaft benötigt, gibt es jetzt mehrere Initiativen, die den notwendigen Dialog in Gang setzen wollen.

Einen wesentlichen Ausgangspunkt dieser Initiativen formuliert der Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft, Manfred Erhardt: „Ohne Dialog mit der Gesellschaft wird die Wissenschaft an Wertschätzung und Leistungsfähigkeit einbüßen.“ Deutschland habe seinen Status als Mekka der Wissenschaft verloren. „Zweitklassigkeit in der Wissenschaft aber heißt“, so Erhardt, „Zweitklassigkeit in wirtschaftlicher Entwicklung und Lebensqualität.“

Es wäre allerdings von vornherein zu kurz gegriffen, wollte man die Aufgaben der Wissenschaft im nächsten Jahrhundert nur aus den Problemen des Standorts Deutschland ableiten. Globalisierung heißt nicht nur weltweiter Wettbewerb, sondern auch globale Probleme, die die Wissenschaft nur in weltweiter Kooperation lösen kann.

Im Mai 1999 wurde von den großen Wissenschaftsorganisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und dem Wissenschaftsrat ein Memorandum „Dialog Wissenschaft und Gesellschaft“ verabschiedet. In diesem Rahmen startete der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sein Aktionsprogramm „PUSH“ (Public Understanding of Sciences and the Humanities), welches Projekte fördert, „in denen der Alltagsbezug und die unmittelbare Nützlichkeit von Wissenschaft und Technik, ihre Wirkung und ihre Bedeutung für die Lösung von Zukunftsproblemen im Dialog mit der Gesellschaft sichtbar werden“.

Anfang Dezember wurden 22 Projekte vorgestellt, die von einer Jury aus Wissenschaft, PR und Journalismus aus 216 Förderanträgen ausgewählt wurden und mit insgesamt 500.000 Mark unterstützt werden. Dominierend sind hier Projekte zur Popularisierung einzelner Naturwissenschaften durch Vorträge, Diskussionsveranstaltungen und Experimente. Beispiele sind „Saturday Morning Physics“ an der TU Darmstadt und „Science Night für Schulklassen“ in Aachen oder ein von der Berliner Charité geplanter „Diskurs über moderne medizinische Forschung in der Schule“. Zum Bedauern der Jury konnten nur drei Projekte aus den Geisteswissenschaften ausgewählt werden, weil „sich die Geisteswissenschaften und offenbar auch die Wirtschaftswissenschaften schwer tun, ihren Prozess der Erkenntnisgewinnung allgemein verständlich darzutun“, so Peter Frankenberg, der Jury-Vorsitzende.

Das jüngste Kind der Dialogbewegung ist die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die vor kurzem von der Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn vorgestellt wurde und im Jahr 2000 mit dem „Jahr der Physik“ startet. Die Initiative ist auf mehrere Jahre ausgelegt und wird mit den Biowissenschaften (2001) und den Geowissenschaften (2002) fortgesetzt. Das Programm zum „Jahr der Physik“, vorgestellt vom Präsidenten der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, Alexander Bradshaw, umfasst fünf zentrale Veranstaltungen in Berlin und Bonn zu den Themen Astrophysik, Elementarteilchen und Kernphysik, Licht und Materie, Festkörperphysik und 100 Jahre Quantentheorie sowie weitere Veranstaltungen an verschiedenen Orten.

Betrachtet man die geplanten Veranstaltungen, so handelt es sich zum großen Teil um Selbstdarstellungen und Popularisierungen der Wissenschaft, die eher eine wichtige Voraussetzung für den Dialog als bereits den Dialog selber darstellen. Deshalb kann die Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse nur der erste Schritt auf dem Weg zu einer ernsthaften Diskussion über Chancen und Risiken, Potenziale und Kosten wissenschaftlicher Arbeit sein. Ob diese Diskussion zustande kommt, hängt sowohl von den beteiligten Wissenschaftlern als auch von der Reaktion der Öffentlichkeit ab. Von Seiten der Wissenschaftler ist entscheidend, ob sie nur auf Akzeptanzbeschaffung zielen oder wirklich an einer Öffnung der Wissenschaft interessiert sind.

Dies setzt allerdings den kritischen Blick auf das eigene Fachgebiet voraus. Außerdem sind nicht viele Wissenschaftler in der Lage, aktuelle Probleme ihres Fachs in einer für den Laien wirklich verständlichen Form darzustellen. Von Seiten der Öffentlichkeit muss die Diskussion auch eingefordert und mitgestaltet werden, sonst bleibt es beim Selbstgespräch der Wissenschaft.

Weder unkritischer Fortschrittsglaube noch allgemeine Wissenschaftsverdrossenheit oder gar Wissenschaftsfeindlichkeit sind eine angemessene Reaktion auf die Entwicklung von Wissenschaft und Technik im 20. Jahrhundert. Beide beruhen auf Unkenntnis oder dem gezielt einseitigen – weil interessengebundenen – Blick. Wenn die vorgestellten Initiativen wirklich zu einer ernsthaften Diskussion der Wissenschaftsentwicklung führen, sollte dies zu einem differenzierteren Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit beitragen und von der Wissenschaft als Chance zur Positionsbestimmung und Orientierung genutzt werden.

Mathias Senoner