: Künstlerische Mischformen
Die Realität zum Tanzen bringen: Die Ausstellung „Condensed Spaces“ auf Kampnagel bewegt sich – zwischen den Gattungen ■ Von Hajo Schiff
Foto und Musik, Bewegung und Zeichnung, Bildkunst und Bühnenobjekt: Erst im Austausch der so oft getrennten Kunstgattungen sieht die Hamburger Gruppe Koinzi-Dance die Kunst komplett. Seit einigen Jahren versucht dieser ambulante Verein um die Künstlerin Nele Lipp immer wieder bildende Kunst und eher traditionellen Tanz zu verbinden. Jetzt stellen Mitglieder und Freunde ihren interdisziplinären Ansatz in KX auf Kampnagel vor.
Auch Kampnagel-Chef Res Bosshart schätzt die Idee interdisziplinärer Kunst. Aber wie er bei seiner Eröffnungrede Mitte Dezember kritisch anmerkte, sei es wohl eine unabweisbare Tatsache, dass die Freunde von Theater und bildender Kunst bisher lieber unter sich blieben. Obwohl sein Büro im gleichen Gebäude sei, wäre er selbst überhaupt erst zum dritten Mal in den Räumen von KX, aber er habe auch die Ausstellungsmacher und ihre Stammgäste kaum jemals vor den Bühnen nebenan gesehen.
Auf Kampnagel aber sind in regelmäßigen Abständen künstlerische Mischformen zu Gast, besonders sei an die ambitionierte und interessante Reihe der von Eva Diegritz verantworteten Maschinenperformances erinnert. Hier in den Ausstellungsräumen von KX geht es nun wesentlich ruhiger zu. Und nach Abzug der am Eröffnungsabend lebendig agierenden Personen künden die meisten der verbliebenen Objekte mehr von den Möglichkeiten eines spielerischen Umgangs als dass sie sich wie autonome Kunstwerke behaupten.
Dass der überzeugten Tanzkünstlerin alles, was sich bewegt, zur Paraphrase des Tanzes wird, zeigt Brygida Ochaim. Im Kernbereich ihrer Arbeit setzt sie sich mit den jugendstilartigen Schleiertänzen der Loie Fuller auseinander, in dem hier gezeigten Video Belphegor aber bringt sie die Realität zum Tanzen: Ein Phantom bewegt sich durch eine Welt, in der Rolltreppen und Aufzüge sich heben und senken, Autos oder Züge sich in der Horizontalen bewegen und Druckmaschinen und Montageroboter steppen während Handschuhe und schwarze Tücher verbergen und verschleiern.
Materialhafter erarbeit der langjährige Leiter der Berliner Tanzfabrik und jetzige Frankfurter Professor Dieter Heitkamp seine Stücke. Bei seinen Vorbereitungszeichnungen wird schon mal ein Bühnenplan zum Bilde und ein Bild oder eine spanische Kachel wird die Grundlage des Bühnenentwurfs. Korrespondenzen werden auf Folien geschrieben und finden sich in Aquarien wieder und ein Wandschrank voller Audiokassetten mutiert jenseits einer Aufführung zum Farbmusterbild. Heitkamps Rauminszenierung gibt Einblicke in das gesamtkünstlerische Repertoire, aus dem sich ein Tanzstück entwickeln kann - die ebenso beiläufige wie unnötige Einbeziehung der WC-Räume hätte er sich allerdings sparen können.
Aber wer weiß schon wirklich, was sich einer so denkt. Die Psychologin und Künstlerin Nathalie Landerschier bietet da Hilfe zur Erforschung des Selbst: das „Persönlichkeitspack". In einem ritualisierten, achtstufigen Ablauf von etwa einer Stunde führen die in Kistchen verschachtelten Hilfsmittel für Hand, Auge und Ohr zum Gewinn neuer Assoziationen zu einem per Lexikon zufällig bestimmten Begriff.
Hinter einem Raum mit Partituren und „Singenden Seelen", fünf eisernen Musikbögen von Wittwulf Y Malik, öffnet sich die komplexe Requisitenkammer der Nele Lipp. Modelle und Dias zeigen, wie in ihren „Transformances“ beispielsweise Architektur vertanzt wurde. Materialboxen und eine raffinierte, mehrfach sich auseinanderentwickelnde Wandelkleidung greifen bereits der Inszenierung vor, in der Koinzi-Dance die Schöpfungsgeschichte für die Kirche der EXPO 2000 darstellen wird.
Von der Requisitenkammer zur Wunderkammer ist es nicht weit: Burkhard Scheller gibt Worten wie Nebelbank und Leuchttisch neue Materialität und verwandelt feste Objekte plötzlich in Dampf oder Licht. Bleibt schließlich ein Raum, vollgepackt mit Leuchten, Blitzgeräten und ähnlichem Studiozubehör. Doch strahlendhell, sauber ausgerichtet und geräuschvoll gekühlt ist nichts anderes in Szene gesetzt als das banale Instrumentarium selbst. Der Hamburger Fotograf Christoph Irrgang hat sein Licht nicht unter den Scheffel gestellt. Er bringt aber das Objekt fotografischer Lichtsetzungsmühen zum Verschwinden, zeigt das Atelier als eigene Skulptur und demonstriert die Mühe und die Künstlichkeit der Bekämpfung des Dunkels. Verweise auf Baudelaires Bad in der Dunkelheit und auf den Eiffelturm, auf dem Scheinwerfer und Kanone gleich nah beieinander standen, werfen die Frage auf, ob denn das Heil immer hell ist, oder ob es nicht auch unsinniges oder falsches Licht geben kann.
Und das passt doch gut zu jenen Tagen, in denen Speersche Lichtdome und andere Beleuchtungsorgien aufgeboten werden, um ein paar Nullen in einer Jahreszahl zu begrüßen.
Condensed Spaces, KX. Kampnagel, Jarrestraße 22, nur noch Donnerstag, 30.12., 16-20 Uhr und 01. + 02. Januar 2000, je 14 - 18 Uhr.
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