: „Lang gehts dahin, wo alle langfahren“
Der Große Stern und die Straße Unter den Linden sind bis zur Silvester-Feier jetzt autofreies Sperrgebiet. Da greifen selbst eingefleischte Berliner ratlos zum Stadtplan
Ich muss hier durch. Ich wohne hier. Um 10 Uhr erwarte ich einen Umzugswagen.“ Entnervt fuchtelt die Polofahrerin mit beiden Händen in Richtung Hansaviertel. Vergeblich. Andreas Schwarz hat kalte Füße, aber seine Anweisungen. „An mir kommt keiner vorbei“, sagt der Herr über die Kreuzung Altonaer/Kloppstockstraße. Nur für Busse, Diplomaten und Inhaber von Spezialausweisen schiebt der dick eingemummte Ordner die rot-weiße Barrikade zur Seite und gibt freie Fahrt zum Großen Stern.
Für alle anderen Autofahrer ist seit Sonntag der Tiergarten und seit gestern auch Unter den Linden bis zur Friedrichstraße Sperrgebiet. Während Sattelschlepper, Kabelträger und Gabelstapler die Festmeile zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor in eine Großbaustelle verwandeln, treffen sich rings herum Berufs- und Ausflugsverkehr zur gemeinsamen Irr- und Hindernisfahrt rund um die neue Berliner Mitte.
Zwar hat die Polizei Entwarnung gegeben: Der Alltagsverkehr sei nach Weihnachten geringer als sonst. Aber soviel Ratlosigkeit wie heute war zwischen Alexanderplatz und Ernst-Reuter-Platz lange nicht unterwegs. Da hilft auch nicht der Hinweis des Party-Veranstalters „Silvester in Berlin“, die Ordner seien instruiert, Ortsunkundigen den Weg zu weisen. Denn Straßenposten wie Andreas Schwarz wissen manchmal auch nicht weiter: „Dauernd fragen mich die Leute nach Straßen, die ich nicht kenne.“ Auf Umleitungsempfehlungen habe ihn niemand vorbereitet. Schwarz’ Kollege am S-Bahnhof Tiergarten hat kaum eine bessere Antwort parat: „Fahren Sie einfach da lang, wo alle langfahren.“
Bei solcher Hilfsbereitschaft greifen selbst eingefleischte Berliner lieber zum Stadtplan. Zwar informieren Radiosender und Zeitungen seit Tagen über die Sperrungen rund um Siegessäule und Brandenburger Tor. Aber wo sie denn stattdessen langfahren sollen, darüber rätseln sogar Profichauffeure wie Rolf Neumann: „Für uns ist das eine Zumutung“, schimpft der Taxifahrer und umfährt die Millenniumsblockade weiträumig. Mit zwei bis drei Kilometern extra schlage sich der Umweg im Schnitt auf dem Taxometer nieder, schätzt sein Kollege Gunnar Zürn: „Viele Fahrgäste machen da nicht mit und steigen gleich wieder aus.“
Rasant rollt der Mittagsverkehr an der Absperrung Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße vorbei, genau dort, wo sonst pünktlich zur Rushhour die Blechlawinen zum Stehen kommen. Dass dies lange so bleibt, bezweifeln Taxifahrer wie Rolf Neumann: „Wenn in den nächsten Tagen die Straßen wieder voller werden, dann haben wir hier das berühmte Nadelöhr, durch das keiner durchkommt.“ Und damit doch noch den passenden Vorgeschmack auf die Silvesternacht.Markus Wierz/Isabel Merchan
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