: „Lothar“ außer Rand und Band
Bilanz nach dem Rekordsturm: Abgestürzte Gondeln, blockierte Straßen und Gleise und mindestens 15 Tote. Das Aufräumen wird noch Tage dauern ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
„Todesorkan“, „Killersturm“ oder „Jahrhundertorkan“ – „Lothar“ sorgte am zweiten Weihnachtsfeiertag nicht nur für Superlative in den Schlagzeilen der Medien. Windböen mit einer Spitzengeschwindigkeit von 215 Stundenkilometern, wie sie auf dem 1.493 Meter hohen Feldberg in Hessen gemessen wurden, hatte es in Deutschland bis dato noch nicht gegeben. Mindestens 15 Todesopfer in der Bundesrepublik, ungezählte entwurzelte Bäume, gekappte Stromleitungen, gesperrte Straßen und Schienenwege sowie Dauerstress für Polizei und Feuerwehren waren die Folge. Die Aufräumarbeiten dauerten bis gestern Abend noch an.
Von Frankreich über die Schweiz und den Bodensee und dann quer durch Süddeutschland zog Orkantief „Lothar“ eine Spur der Verwüstung. Nachdem in Paris die beiden Flughäfen geschlossen, die Champs Elysees wegen umherfliegender Dachziegel gesperrt wurden und im Schweizer Skiort Crans Montana ein entwurzelter Baum die Gondel einer Seilbahn zum Absturz gebracht hatte, richtete der Orkan am Rhein und im Schwarzwald ein Chaos an.
Der Zugverkehr kam zunächst im Südwesten und dann auch in Bayern fast völlig zum Erliegen. „Kaum haben wir einen Baum beseitigt, fällt schon der nächste um“, kommentierte resigniert Bahnsprecher Horst Staimer. Umgestürzte Bäume hatten die Fahrleitungen abgerissen oder die Schienen blockiert. Aus der Schweiz mussten nahezu alle Verbindungen in die Bundesrepublik abgesagt werden, besonders die Hauptstrecke von Karlsruhe nach Basel war davon betroffen. Tausende von Reisenden saßen auf den Bahnhöfen fest oder harrten in Zügen aus, die auf freier Strecke von Bäumen blockiert waren (siehe Bericht auf dieser Seite).
Das gleiche Bild auf den Straßen. Die Autobahn Karlsruhe – Stuttgart war noch gestern wegen umherliegender Äste und Bäume komplett gesperrt. Am Sonntag waren in Baden-Württemberg, wo der Orkan allein elf Todesopfer forderte, Rheinland-Pfalz und Bayern viele Straßen unpassierbar. Während vom Münchner Flughafen stundenlang keine Flugzeuge starten konnten, deckte „Lothar“ das Dach des Towers in Nürnberg ab. Zehntausende von Haushalten in Südbayern blieben ohne Strom, weil umstürzende Bäume die Leitungen gekappt hatten. Im Nordschwarzwald waren sogar einige Ortschaften vorübergehend nicht mehr erreichbar. In anderen Orten erließ die Polizei wegen herumfliegender Dachteile Ausgehverbote für die Bewohner. Im Allgäu mussten einige Berg- und Seilbahnen ihren Betrieb einstellen. Teilweise mussten die Fahrgäste von der Bergwacht geborgen werden. Im Ostallgäu wurde eine Frau in das Flüsschen Günz geweht und ertrank. Im Landkreis Freising starb ein Autofahrer, als ein Maibaum auf sein Fahrzeug stürzte.
Noch bis gestern Abend dauerten vielerorts die Aufräumarbeiten an und wurden durch neuerliche Wetterkapriolen erschwert. Eisregen in Niedersachsen, schwere Schneefälle in Oberfranken und Hochwasser an Saar, Mosel und Rhein sorgten für neue Verkehrsbehinderungen. So ist die Stadtautobahn in Saarbrücken seit Sonntagnachmittag überflutet. Die Pegelstände der Mosel sollen erst diese Nacht wieder sinken.
Während die Wetterdienste ein neuerliches Sturmtief erwarten, gab zumindest die Versicherungswirtschaft Entwarnung.
Nach den Versicherungsbedingungen herrscht ab Windstärke acht Sturm und, so teilte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft gestern in Berlin mit, die Gebäude-, Hausrat- und Kaskoversicherungen kämen für die Schäden auf. Nicht einmal der Schadenfreiheitsrabatt bei der Vollkaskoversicherung sei in Gefahr. Sturmschäden würden als Teilkaskoschäden abzüglich einer vereinbarten Selbstbeteiligung ersetzt.
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