Apocalypse now ■ Die Sehnsucht nach dem Crash

Die Zeit der Besinnung ist zum Glück vorbei. Wenige Stunden vor Beginn des neuen Jahrtausends dürfen endlich die niederträchtigsten Gedanken an die Silvesternacht herausgelassen werden.

Man stelle sich folgendes Szenarium vor: Kein Licht, kein Telefon, keine U-Bahn, kein gar nichts. Keine warmen Würstchen am Brandenburger Tor, keine Lasershow an der Siegessäule, keine Partystimmung im Festzelt am Reichstag.

Gleichzeitig könnten äußerst angenehme Dinge passieren: Geldautomaten reagieren auf das sowieso ein Jahr zu früh ausgerufene Millennium mit dem Ausspucken von 2.000-Euro-Scheinen, Parkuhren geben ihren Geist auf, Prospektverteiler verstopfen keine Briefkästen, weil die Gegensprechanlagen aussetzen.

Jeder Veranstalter wirbt mit Superlativen für Silvester 1999. Da ist es nur okay, wenn auch fernab der Partymeilen Unglaubliches und Unerhörtes geschieht. Selbst diejenigen, die sich zu Hause verbarrikadieren, sind nicht in Sicherheit: Mixer und Waschmaschinen springen plötzlich an, aus dem Fernseher kommen Stimmen von einer anderen Galaxie, der Wellensittich fängt an zu bellen.

Nicht auszudenken, wenn außer überlasteten Telefonleitungen, kurzzeitigen Stromausfällen und einer kleinen Panik am Brandenburger Tor nichts passieren würde. Notprogramme wären umsonst ausgedacht, Urlaubssperren für die Katz verhängt und Hamsterkäufe umsonst gemacht worden. Das wäre genauso ärgerlich, wie einen Regenschirm mitzuschleppen und vergeblich auf den vorhergesagten Wolkenbruch zu warten.

Damit muss man aber rechnen: Schließlich sind ähnliche Großveranstaltungen trotz vorheriger Panikmache auch ziemlich langweilig über die Bühne gegangen. So hat die Umstellung der Postleitzahlen keineswegs dazu geführt, dass Frau Müller die Post von Frau Meier bekam. Oder das Beispiel Sonnenfinsternis: Ist die Welt etwa untergegangen? Sie hat nicht mal gewackelt.

Eins steht fest: Je schlimmer der Silvestercrash ist, umso unvergesslicher wird die Nacht sein – ganz ohne eigenes Zutun! Mehr kann man sich wirklich nicht wünschen fürs neue Jahr. B. Bollwahn de Paez Casanova