„Die Liga braucht Solidarität“

■ Gespräch mit dem DFB-Vizepräsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder über Strukturreformen, Marketingrechte, Kommerzialisierung des Fußballs und die deutsche WM-Bewerbung für 2006

taz: DFB-Präsident Egidius Braun hat zum Jahr 2001 seinen Rückzug angekündigt und hält Sie für einen geeigneten Nachfolger.

Gerhard Mayer-Vorfelder: Es ehrt mich, dass Egidius Braun mir eine solche Aufgabe zutraut. Auch wenn mich diese Aufgabe reizt: Bis 2001 kann noch viel passieren.

Was muss denn passieren beim DFB, der als schwerfällig und altmodisch gilt?

Der Profifußball wird eine größere Selbstständigkeit bekommen – aber unter dem Dach des DFB. Eine Abspaltung des bezahlten Fußballs vom Verband ist mit mir nicht machbar. Wenn der DFB zu einem Verband würde, der nur noch im Amateurbereich etwas zu sagen hat, dann ohne mich.

Wie soll Ihr Modell genau funktionieren?

Der DFB würde von zwei Säulen getragen: Profi- und Amateurfußball. Fragen des Aufstiegs, des Abstiegs und Modalitäten, die beide Bereiche betreffen, werden in einem paritätisch besetzten Gremium entschieden. Auch beim DFB wird die Organisation gestrafft und neu strukturiert.

Entwickelt sich die erste Liga ähnlich wie die amerikanischen Profiligen? Hin zu reinen Wirtschaftsunternehmen und Vermarktungscentern?

Das amerikanische System ist nicht auf Deutschland übertragbar, dafür sind die geschichtlichen Entwicklungen zu unterschiedlich. In Amerika werden die Vereine dem Dachverband quasi als Franchise-Unternehmen rangehängt. Der Verband hat allein das Sagen, auch im Merchandising-Bereich der Clubs. Das ist bei uns undenkbar, genauso wie ein System ohne Auf- und Abstieg. Aber die Weichen sind dafür gestellt, dass die Vereine immer mehr zu Wirtschaftsunternehmen werden.

Dem DFB wurde Unprofessionalität vorgeworfen bei der Vermarktung der Fernsehrechte. Kritik kam von Bayern-Manager Uli Hoeneß bis zu Unterhachings Präsident Engelbert Kupka.

Die Argumentation von Herrn Hoeneß ist jeweils von den Umständen bestimmt. In der Champions League stimmt er einer zentralen Vermarktung zu, in der nationalen Liga nicht. Herr Kupka ist mit seinem Verein in die erste Liga aufgestiegen, seitdem gibt er sich im Ligaausschuss kampfeslustig. Oft nicht in sich schlüssige Äußerungen zu machen gehört heute zum Geschäft.

Wie soll denn die Vermarktung der Fernsehrechte auf längere Sicht geregelt werden?

Zentral oder dezentral ist für mich nicht die entscheidende Frage. Die Liga braucht Solidarität. Was nicht bedeutet, dass alle gleich behandelt werden. Leistung muss sich lohnen, im Sport wie gesamtgesellschaftlich. Es kann aber auch nicht der pure Darwinismus regieren. Wenn unsere Marktwirtschaft keine sozialen Komponenten hätte, wäre unsere Gesellschaft nicht handlungsfähig. Und genauso ist das im Fußball. Wir brauchen ein Ausgleichssystem, das Leistung belohnt und die Wettbewerbsfähigkeit der Liga erhält. Wenn der Tabellenerste mehr aus dem Fernsehtopf kriegt als die anderen, ist das in Ordnung. Bekäme er zehnmal so viel wie der Letzte, wäre das eine Horrorvorstellung. Eine dezentrale Vermarktung ohne jedes Ausgleichsmodell bedeutet den Tod der Liga.

Die unzufriedenen Spitzenclubs drohen gern mit dem Exodus in eine Europaliga.

Das sind leere Drohungen. Bei allen Diskussionen haben diese Clubs größten Wert darauf gelegt, dass sie in der nationalen Liga mitspielen. Auch Großvereine wie Bayern oder Dortmund brauchen die Bundesliga. Eine reine Europaliga würde den absoluten Bruch mit den Fans bedeuten und wäre ein tot geborenes Kind.

Wichtige Entscheidungen im Fußball, auch die über die Fernsehrechte, werden bei der EU verhandelt. Der DFB muss hilflos zusehen.

Die Gesetzgebung der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft überlagert die nationale. Brüssel bestimmt immer öfter über den Fußball. Das Riesenproblem ist, dass die EU den Sport behandelt wie ein Wirtschaftsgut. Das wird ihm nicht gerecht, auch wenn er zunehmend kommerzialisiert wird. Sport ist immer auch ein Kulturgut. Es darf aber nicht sein, dass der DFB zum Goethe-Institut des Fußballs wird, das für den kulturellen Überbau des Sports zuständig ist, und wirtschaftliche Belange regelt die EU. Auch in Brüssel muss erkannt werden, wie sportfeindlich Entscheidungen wie das Bosman-Urteil sind.

Kann der DFB die weit fortgeschrittene Zusammenarbeit zwischen Clubs und Rechteagenturen noch eindämmen?

Es gibt kaum Möglichkeiten, einzuschreiten. Früher haben die Vereine Banken in Anspruch genommen, die Kredite gaben, wenn Sicherheiten vorlagen. Heute treten die Clubs wertvolle Fernseh- und Marketingrechte ab. Zwar wird zunächst die Liquidität eines Vereins durch eine Vorfinanzierung über Rechteverwerter gesichert. Wenn sich aber der Erfolg nicht einstellt, ist die Zukunft des Vereins gefährdet. Rechteverwerter sind keine Sozialinstitute. Dass mancher Verein sich auf einem sehr schmalen Grat bewegt, steht außer Frage. Die allgemeine Entwicklung im Fußball ist sehr gefährlich: Wenn für einen Spieler 90 Millionen Mark bezahlt werden, ist das der absolute Irrsinn.

Als Präsident des VfB Stuttgart verhandeln Sie mit Rechtevermarktern, als DFB-Funktionär warnen Sie davor?

Eine Konfliktsituation, der sich alle Vereinsvertreter im Ligaausschuss stellen müssen. Sie dürfen über den Belangen ihres Clubs das Gesamte nicht vergessen. Für mich kann ich sagen: Wenn ich zu Hause bin, rede ich nicht anders als im Ligaausschuss. Der VfB tritt keine Rechte ab, die bleiben beim Verein. Sonst hat man nur noch eine Hülse ohne Inhalt.

Wird die Liga durch ihre Marketing GmbH optimal vertreten?

Sie kann sich nicht so entfalten, wie wir uns das vorgestellt haben. Gemeinschaftsaktivitäten sind bislang sehr oft blockiert worden von einzelnen Großvereinen. Das ist der Unterschied zu Amerika: Es ist vollkommen klar, bei den Chicago Bulls ist auf jeder Mütze auch das Zeichen der NBA. Diesen Zustand werden wir bei uns nicht erreichen. Aber unsere Marketing-Gesellschaft ist in Teilbereichen sehr erfolgreich, bei der Ausrichtung der Hallenturniere oder des Ligapokals. Die Arbeit könnte aber weit erfolgreicher sein, wenn alle Vereine mitziehen würden. Weg vom Egoismus, hin zum gemeinsamen Nenner, wie wir ihn bei der Bewerbung für die WM 2006 haben.

Warum muss die Weltmeisterschaft in Deutschland stattfinden?

Eine Weltmeisterschaft ist ein weltpolitisches Highlight, jedes Land, das die Chance hat, sie auszurichten, muss sich bewerben. Natürlich spielen volkswirtschaftliche Aspekte eine Rolle: Da werden zig Milliarden bewegt. Die Infrastruktur wird verbessert, besonders im Bereich der Stadien. Der Werbeeffekt für das austragende Land ist enorm.

Wie bewerten Sie die deutschen Chancen?

Ich sehe drei aussichtsreiche Bewerber: England, Deutschland und Südafrika. Wobei ich frage: Kann Südafrika alle Voraussetzungen erfüllen? Bei Ausgeglichenheit in den organisatorischen Belangen können auch politische Kriterien herangezogen werden: dass Südafrika die Apartheid überwunden oder Deutschland die Wiedervereinigung geschafft hat. Auch wenn sie immer beschworen wird: Eine sterile Trennung von Politik und Sport gibt es nicht. Ich halte sie auch nicht für notwendig.

Interview: Rainer Schäfer
und Eberhard Spohd