: Die subtile Verösterreicherung der Burg
Berechenbarkeit, Geschmeidigkeit und immer wieder Konsens. Seit gut 100 Tagen regiert Klaus Bachler als Intendant das Wiener Burgtheater ganz im Sinne des alten autoritären Staates: Repräsentation statt Auseinandersetzung ■ Von Cornelia Niedermeier
Vor wenigen Wochen wurde Peter Ruzicka, amtierender Leiter der Münchner Biennale, zum künftigen Intendanten der Salzburger Festspiele ernannt. Kaum eines der Porträts, die daraufhin in der österreichischen Presse erschienen, vergaß, auf die österreichischen Eltern des gebürtigen Düsseldorfers hinzuweisen. Gewissermaßen handelt es sich bei Ruzicka um einen „echten Österreicher“, ein Argument, mit dem die rechtspopulistische FPÖ bei den Nationalratswahlen immerhin knapp ein Drittel der Wählerstimmen gewann (als „zwei echte Österreicher“ grüßten Parteichef Jörg Haider und sein Kandidat Thomas Prinzhorn vom Plakat). Mit verblüffender Offenheit figuriert die österreichische Ahnenschaft selbst in liberalen Kreisen zumindest als anekdotisch verbrämter Pluspunkt.
Als Klaus Bachler, seit September dieses Jahres Burgtheaterdirektor, zum Nachfolger Claus Peymanns gekürt worden war, war das Faktum einer „österreichischen Lösung“ (Bachler ist Steirer, sein Konkurrent Frank Baumbauer Münchner) gleichfalls vermerkt worden. Beide Intendanten, Ruzicka wie Bachler, stehen freilich keineswegs für eine nationale Verengung des Programms, genauso wenig wie für einen reaktionären Theaterbegriff. Beide gelten als fortschrittlich. Die „Verösterreicherung“, so es eine geben mag, ist subtiler: Sie besteht in einer höheren Sensibilität für die Wünsche der hiesigen (gehobenen) Gesellschaft beziehungsweise ihrer gewählten Repräsentanten. Sprich: Nachdem zwei Sturköpfe und dezidiert kompromisslose Erneuerer, der Piefke Claus Peymann und der Belgier Gérard Mortier, durch die besten Stuben der Kultur gelärmt waren, mag nun Ruhe einkehren mit so genannten gemäßigten Reformern.
Berechenbarkeit und Geschmeidigkeit
Mit Reformern also, die ihren ästhetischen Reformwillen in Einklang zu bringen suchen mit dem Beharrungswillen eines prinzipiell reformskeptischen Publikums. Mit einsichtigen, kompromissbereiten Pragmatikern. Die „österreichische Lösung“ heißt, anders formuliert: Berechenbarkeit. Kompromissfähigkeit. Und Geschmeidigkeit. Etwa im Umgang mit Medien und Politikern. Und ist als solche natürlich keineswegs österreichisch, sondern vielmehr Ausdruck eines politischen Kulturverständnisses, das Repräsentation wünscht, nicht kritische intellektuelle Auseinandersetzung. Und ein gewisses Maß an Dankbarkeit, Einsicht und Subordination von Seiten der mit Steuergeldern bezahlten Künstler. Insofern trägt die „österreichische Lösung“ in sich das Kulturverständnis des autoritären Staates.
Bezeichnenderweise war es in Österreich ein SPÖ-Kanzler, der kulturell eher bescheiden interessierte Viktor Klima, der das Amt des Kunstministers kurzerhand abschaffte und das Kunstressort dem Kanzleramt unterstellte. Der seit damals zuständige Staatssekretär für Kunst und Spiele – also Sport –, Peter Wittmann, bezog sein berufliches Knowhow aus der niederösterreichischen Provinz, als Bürgermeister von Wiener Neustadt. Jene Umorganisation vollzog sich kaum zufällig vor dem Hintergrund einer von Jahr zu Jahr erstarkenden FPÖ und ihrer populistischen Kritik an intellektuell exponierten Staatskünstlern wie Elfriede Jelinek und deren Förderer, Kunstminister Rudolf Scholten (im Amt bis 1997).
Und Klimas Entscheidung für Wittmann folgten die Entscheidungen von, beziehungsweise unter, Wittmann. Pragmatische Entscheidungen eines nicht durch persönliche Leidenschaften behinderten Berufsbeamten, diktiert vom Willen nach Konsens, vulgo größtmöglicher Wählerzustimmung. Ob Wittmanns Pragmatik notwendig eine qualitative Minderung des kulturellen Angebots nach sich zieht, ist an dieser Stelle zu fragen.
Vergleicht man die ersten drei Monate des Burgtheaters unter Klaus Bachler mit der Peymannschen Schlussphase, ist diese Frage zu verneinen. Claus Peymanns Burgtheater befand sich längst in einem Zustand künstlerischer Erstarrung und nostalgischer Verklärung der eigenen Vergangenheit. Die konsequente Auseinandersetzung mit den Arbeiten jüngerer Autoren und Regisseure fand auf der Bühne des „Heldenplatz“-Helden kaum statt.
Dass dies unter Klaus Bachler anders wird, dafür soll nun eine komplett ausgewechselte Dramaturgie sorgen, bestehend aus Wolfgang Wiens (langjähriger Dramaturg an der Berliner Schaubühne und am Hamburger Thalia-Theater), Stephan Müller (Neumarkt-Theater Zürich), Joachim Lux (Bremer Theater) und als einzige Frau Marion Tiedtke (Residenztheater München). Als Hausregisseure mit jeweils zwei jährlichen Inszenierungen wurden Andrea Breth, Andreas Kriegenburg und Sven-Erich Bechtolf engagiert.
Das neue Burgtheater sieht ziemlich alt aus
Letzteren holte Bachler ebenfalls von Jürgen Flimms Thalia-Theater, dessen Geist das neue Burgtheater insgesamt nachzueifern scheint: solides (Kunst-) Handwerk, mit Blick zurück auf die letzte Jahrhundertwende. Während draußen vor den Mauern die Republik in regierungsloser Agonie der rechten Gefahr ins blaue Auge starrt, ist drinnen – ganz Jugendstil – Erotik das erklärte Thema. Mit Wedekinds „Lulu“ etwa, von Andreas Kriegenburg als dreistündig erturnter Dauer-Liebesakt der Hauptdarstellerin Natali Seelig mit wechselnden Partnern choreografiert. Mit den „Bakchen“ des Euripides, in denen der Rumäne Silviu Purkarete bacchantischen Rausch darzustellen vermeinte, indem er ein weibliches Chorensemble in weiße Tücher packte und artig kauernd an Trauben – oh, höchste der Ekstasen – naschen ließ. Mit Schnitzlers „Reigen“, den Sven-Erich Bechtolf als Belle-Époque-Porno missverstand und auf Glittenberg-Laub in Schnürstiefeln mit vielen weiß gepuderten Brüsten und zarten Orgasmen, aber ohne den Schimmer eines Blicks für die sozialen Abgründe vollzog. Holger Berg, zu Recht unbekannter in Nürnberg tätiger Regisseur, stellte Edward Albees Theaterillusion „Das Spiel ums Baby“ gänzlich gedankenentleert auf die Bühne. Ein Hauptdarsteller, Michael Heltau, kündete von der Rückkehr der alten Stars und spielte vor Freude gar nur noch sich selbst. Klaus Maria Brandauer, der nächste Burg-Heimkehrer, warf sich in Nase, Mantel und Degen, um, kaum behindert von Bechtolfs zweiter Wiener Regie, „Cyrano von Bergerac“ zu geben.
Auch an das jüngere Publikum, das mit der Altherrenerotik der Hauptbühnen nichts anzufangen weiß und folglich in den Stuhlreihen fehlt, wo die Haarfarbe der Saison eindeutig Grau ist, wird gedacht. Dafür soll Stephan Müller sorgen, im Kasino, einem ehemaligen Ballsaal der Jahrhundertwende. Einen DJ-Abend gab es schon, mit Wiens Parade-DJs Kruder und Dorfmeister, einen Grillparzer-Festschmaus und andere Putzigkeiten. Und eine gute Inszenierung – im Burgtheater – gilt es auch zu erwähnen: Martin Kusejs „Weh dem, der lügt“.
So also sieht es aus, nach gut 100 Tagen, das neue Burgtheater. Ziemlich alt. Inzwischen holt man in der Verzweiflung gar vergilbte Schnitzler-Inszenierungen des Intendanten-Vorvorgängers Achim Benning aus der Versenkung. Ob Wittmanns Politik die Qualität drückt? Vergleicht man Bachler nicht mit seinem Vorgänger, sondern dem Konkurrenten Frank Baumbauer und dessen Neugier und Experimentierfreudigkeit, lautet die Antwort doch: Ja. Zumindest bisher teilt das Burgtheater die Schwierigkeit aller Institutionen – ob Parteien, Medien, Theater –, die in der verzweifelten Suche nach Zustimmung nach außen schielen und populistisch einen angenommenen Fremdgeschmack zu bedienen suchen, statt aus einer inneren Überzeugung heraus zu handeln. Konsens heißt diese Antihaltung, die „österreichische Lösung“. Nach ihm schielte Klima bei der Wahl Wittmanns, Wittmann bei der Wahl Bachlers, Bachler bei der Wahl seiner Dramaturgen, Regisseure, Stücke. Bisher hatte mit dieser Methode noch niemand Erfolg. Das stört nur leider keinen.
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