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Die Angst, blond zu werden

Fatma Cosgun will keinen deutschen Pass. Fatma Cosgun will eine Lehrstelle. Da hilft ihr kein Pass – weil das neue Staatsbürgerschaftsrecht keine neuen Staatsbürger macht ■ Von Heike Haarhoff

Spätestens beim Foto käme sowieso alles heraus. Spätestens hieße sofort. Denn wer ihre Bewerbungsmappe aus dem Briefumschlag zöge, sähe als erstes das Foto rechts oben in der Ecke, ihr Foto, das Bild einer 17-jährigen Schülerin: den Mund zu einem heiteren Lächeln verzogen, der Blick aufgeschlossen, die Stirn noch ohne Sorgenfalten. Bis hierher gerne mehr, würde der Personalchef vielleicht denken, doch dann würde er über der Stirn statt einer Frisur ein dunkles Kopftuch sehen; ab hier danke, nichts mehr, Unterlagen zurück, müssen wir Ihnen leider eine Absage erteilen, Ende. Keine Sekunde würde der Personalchef noch darauf verschwenden, sich die Zeugnisse der Bewerberin um eine Ausbildung zur Bankkauffrau anzusehen, geschweige denn sich ihren Namen zu merken: Fatma Coșgun.

„Es ist doch alles nur Verarschung“, sagt Fatma Coșgun, „für die Deutschen würde ich immer eine Türkin bleiben, selbst wenn ich einen deutschen Pass hätte, allein schon wegen des Kopftuchs.“ Sie trägt es auch an diesem Nachmittag im Seminarraum der Technischen Universität Berlin. Der Türkische Studentenverein richtet die Jahresabschlussfeier aus für SchülerInnen wie Fatma Coșgun, die kurz vor dem Abitur stehen, konkrete Berufswünsche haben und wöchentlich zur Nachhilfe in Mathe, Deutsch oder Englisch hierher kommen. „Ich bin wie fast alle von uns in Berlin geboren“, sagt Fatma Coșgun. Sie zündet sich eine Zigarette an. „In der Türkei war ich erst zweimal.“ Jeweils in den großen Ferien, zu Besuch bei den Verwandten. Der Besuch heißt dort „Almanci, Deutschländer.“ Fatma Coșgun sagt: „Die Mentalität dort ist ganz anders.“ Warum? „Ich kenne doch nicht die türkische Geschichte.“ Die Frage, ob sich Fatma Coșgun vorstellen könnte, in der Türkei zu leben, die ihre Eltern vor vielen Jahren für einen Job in Deutschland verlassen haben, ist überflüssig. Die Frage, wie ihre Perspektiven sind in dem Land, das ihr vertraut ist und in dem sie als Bankkauffrau arbeiten möchte, drängt.

Das hat auch jenes Land erkannt und wird nach Jahren des politischen Streits zum 1. Januar sein Staatsbürgerschaftsrecht von 1913 den Realitäten des 21. Jahrhunderts anpassen. Deutscher ist danach, wer in Deutschland geboren wird. Also auch Fatma Coșgun, wenn sie es will. Ob durch die Adern der Vorfahren deutsches Blut pulsierte, spielt dagegen ab sofort keine Rolle mehr. Integration, Bürger- und Wahlrecht, visumfreies Reisen in ganz Europa und bessere, weil vielfältigere Berufsaussichten – es sind hehre Ziele und Verheißungen, mit denen die rot-grüne Regierung bei der ausländischen wie der deutschen Gesellschaft um Akzeptanz für das neue Staatsbürgerschaftsrecht wirbt.

Fatma Coșgun glaubt kein Wort davon. Für Politik interessiert sie sich wenig, für Reisen hat ihre Familie im Moment kein Geld, und das Gerede von den besseren Berufsaussichten hält sie für Heuchelei: „Banken stellen keine Frau ein, die ein Kopftuch trägt“, sagt sie knapp, und dann, als erwarte sie die nächste Frage bereits: „Natürlich zwingt mich niemand, dieses Kopftuch zu tragen, nicht einmal meine Eltern. Ich mache das aus religiöser Überzeugung, so wie andere ein Kreuz tragen, und ich frage mich, wie die Leute dazu kommen, dass meine äußere Erscheinung Einfluss auf meine Arbeit haben könnte.“ Sie legt eine Pause ein, gerade so lang, dass es für einmal Durchatmen und einmal an der Zigarette ziehen reicht: „Ehrlich gesagt, ich bin zu stolz, unter solchen Bedingungen meinen türkischen Pass abzugeben.“

Da hilft auch alles Reden nichts. Das ihrer sechs älteren Geschwister nicht, die allesamt längst die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben und Fatma nicht verstehen. Das ihrer Eltern nicht, die Fatma zwar verstehen, aber manchmal sagen, werde du Deutsche, denn wir können es nicht, wir wissen nicht, ob wir wirklich bleiben wollen, und selbst wenn wir es wüssten, dann wäre es eine ungeheure psychologische Überwindung, unseren türkischen Pass abzugeben. Aber das verlangen sie von uns, es gibt keine Doppelstaatlichkeit mehr wie selbst unter der CDU noch, wir finden das unmöglich, aber wie sollen wir uns dagegen wehren? Im Übrigen würden wir schon an diesem Sprachtest scheitern, auf den sie neuerdings bestehen; mit ein wenig Glück würden wir vielleicht die mündliche Prüfung, nie aber die schriftliche schaffen, wir haben ja Mühe, Türkisch zu schreiben.

Fatma Coșguns Eltern gehören zu den Menschen, die selten öffentlich das Wort ergreifen und von denen deswegen Kenan Kolat spricht, wenn er in seinem Neuköllner Büro Sätze sagt wie: „Die Einbürgerung ist mit diesem neuen Gesetz tot.“ Oder: „Dieses Gesetz stärkt das Bewusstsein, Ausländer zu sein, noch mehr.“

Kenan Kolat ist der Geschäftsführer des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg, aber zum Geschäfte führen kommt er dieser Tage wenig. „Wir machen nur noch Beratung zum neuen Staatsbürgerschaftsrecht.“ Und deswegen weiß Kenan Kolat auch um die Ängste, die Sorgen, die Ablehnung. Denn einerseits geht es dank der neuen Verwaltungsvorschriften schneller und unbürokratischer mit der Einbürgerung, für Kinder ohnehin. Doch die Entscheidung für einen einzigen Pass, die Anfrage beim Verfassungsschutz und die Sprachtests, die neuerdings verlangt werden und von denen nicht einmal die bezirklichen Einbürgerungsämter derzeit wissen, nach welchem Verfahren und vor allem mit welchem Personal sie sie durchführen sollen, schrecken viele ab, vor allem Ältere.

„Für die erste Generation gab es keinerlei Hilfestellung seitens der Regierung, Deutsch zu lernen.“ Kenan Kolat redet sich in Rage. „Und jetzt erwartet diese Regierung, dass diese Menschen so perfekt sprechen wie Ausländer bei einer Hochschulaufnahmeprüfung.“ Eine Bereitschaft, die man als Beitrag zur Integration voraussetzen darf, entgegnen die zuständigen Innenministerien von Bayern bis Schleswig-Holstein.

Eine Bereitschaft, die lästig erscheinen mag, die sich auf Dauer aber lohnt: „Wir werden nicht mehr weggehen. Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft. Damit sollen sich die Leute auseinandersetzen. Aber das tun sie nur, wenn wir die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Denn nur dann müssen sie uns als Wählerinnen und Wähler ernst nehmen.“

Civriye Akbay hält ihr Plädoyer in Sachen Einbürgerung, engagiert, stakkatohaft, präzise. Es ist, als probe sie hier während des Telefongesprächs schon einmal ihren ersten Auftritt in schwarzer Robe; in wenigen Wochen wird die 27-jährige Jurastudentin ihr Referendariat an einem Berliner Gericht beginnen. „Mein Ziel ist, Staatsanwältin oder Richterin zu werden“, sagt Civriye Akbay, deswegen habe sie schon vor vier Jahren ihren türkischen gegen einen deutschen Pass getauscht. „Ich habe jetzt mehr Rechte und Behördengänge sind einfacher geworden.“ Will Civriye Akbay sich beispielsweise ein Buch aus der Universitätsbibliothek leihen oder sich ein Handy kaufen, dann muss sie nicht mehr ihre polizeiliche Meldebestätigung vorlegen. Sie lacht herzlich und könnte diese selbstbewusste Stimme ihre künftigen Urteile auch per Telefon bekannt geben, es gäbe keinen Zweifel, weshalb Civriye Akbay ihr Ziel nicht erreichen sollte. Aber da ist dieses Kopftuch, „ich bin eine muslimische Frau, und deswegen wird es wohl schwierig“, schätzt sie.

Ein Grund zum Verzweifeln ist das freilich nicht, eher einer zum Ärgern, zum Beschweren, zum Fordern: „Ich bin für Gleichberechtigung. Wir haben bald Ramadanfest und ich frage mich, warum das immer noch kein Feiertag ist in Deutschland. Die Christen dürfen doch auch in Ruhe Weihnachten feiern.“ Civriye Akbay hat sich mit diesem Anliegen kürzlich an die Islamische Föderation gewandt, den Berliner Dachverband, der seine 8.600 Mitglieder in allen religiösen Fragen berät. Ihre Stimme klingt jetzt drohend: „Auch ich besitze Wahlrecht.“

Wahlrecht. Payman Deljo, 38, sitzt im Nachtzug von Berlin nach Frankreich. Es ist stickig, es ist eng, der Kontrolleur gereizt. Was bedeutet Payman Deljo Wahlrecht? Zu dieser Stunde eine bestenfalls lästige Diskussion. Denn natürlich ärgert es ihn, dass der Diepgen immer noch in Berlin regiert, sagt er, aber so ist das halt mit der Demokratie. Bei den nächsten Berliner Landtagswahlen wird Payman Deljo gegen Diepgens CDU stimmen. Es wird das erste Mal sein, dass er hier wählt, das erste Mal nach 14 Jahren in Deutschland. Aber so richtig beeindruckend findet er das nicht. „Meine Frau, mein Sohn und ich werden alle im Januar, sobald das neue Gesetz in Kraft ist, die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen“, sagt Payman Deljo, „aber das Wahlrecht war nicht der ausschlaggebende Grund dafür.“

Es war vielmehr der Wunsch, endlich diesen auffällig blauen Lappen mit den beiden schwarzen Streifen loszuwerden, diesen so genannten Internationalen Ausweis, der eher wie ein Strafgefangenenpapier denn wie ein ordentlicher Pass aussieht, und auf den der Grenzkontrolleur im Zug nun starrt, als rekapituliere er die jüngsten internationalen Fahndungsaufrufe. Menschen wie Payman Deljo, die vor etlichen Jahren aus dem Iran oder vor anderen Diktaturen geflohen sind, haben diesen Internationalen Ausweis als Passersatz für anerkannte Flüchtlinge von den deutschen Behörden ausgehändigt bekommen. „Aber kaum einer kennt das Ding, und deswegen fühlst du dich diskriminiert.“

Payman Deljo hätte auf Grund seines Status und seines langen Aufenthalts in Deutschland auch nach dem alten Staatsbürgerschaftsrecht längst Deutscher werden können. Dass er dennoch erst jetzt den deutschen Pass beantragen wird, hat Gründe. Das alte Gesetz verlangte auch von politisch Verfolgten wie Payman Deljo, dass sie erst bei der iranischen Botschaft einen Ausbürgerungsantrag stellen. „Die haben überhaupt nicht erkannt, wie absurd das war“, sagt Payman Deljo, der auch nach 14 Jahren in Sicherheit einen geänderten Namen und kein Foto in der Zeitung will. „Wir sind doch nicht vor dem iranischen Regime geflohen, um uns ihm anschließend mit vollständiger Adresse zu liefern.“ Das neue Gesetz verzichtet darauf sensiblerweise. Für Payman Deljo ist deswegen jetzt der Zeitpunkt gekommen, Deutscher zu werden. „Ich habe keine Angst, dadurch blond zu werden.“

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